Chinesen in Vietnam: Urlaubsreif und chauvinistisch
Sie beanspruchen Strände, Sonderzonen, sogar ein ganzes Meer – viele in Vietnam nervt die Präsenz der Chinesen. Doch die Regierung unterdrückt alle Kritik.
Anrainerstaaten wie Vietnam und die Philippinen wehren sich seit Jahren lautstark gegen die Expansionsgelüste Chinas. Durch das Gewässer läuft eine der wichtigsten Frachtrouten der Welt, mit einem jährlichen Handelsvolumen von rund 5 Billionen US-Dollar. Das 3,6 Millionen Quadratkilometer große Südchinesische Meer hat zudem entscheidende strategische Bedeutung – nicht zuletzt für die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten.
War es ein bewusster Versuch eines „Imperialismus per T-Shirt“ durch chinesische Touristen, wie ein Kritiker meinte? Die vietnamesischen Grenzbeamten zeigten jedenfalls wenig Verständnis. Erst nach der Beschlagnahme der Shirts wurden die Chinesen ins Land gelassen. So wie ihre vier Millionen Landsleute, die pro Jahr zum Urlaub nach Vietnam reisen. Inzwischen stammen etwa 30 Prozent aller ausländischen Touristen aus China – ein Wirtschaftsfaktor, auf den Hanoi, trotz gelegentlicher Provokationen, nicht verzichten möchte.
China und Vietnam teilen sich eine 1.281 Kilometer lange Grenze. Doch die Nachbarn sind aber keineswegs in kommunistischer Bruderschaft verbunden. Zwar ist vor allem im Norden von Vietnam, in der gebirgigen Region Sapa, die unmittelbare Nähe Chinas zu erkennen – in den Gesichtern der Menschen der einst aus China eingewanderten Minderheitenvölker. Doch gerade in dieser Region ist die gemeinsame Vergangenheit auch von Konflikten gezeichnet: China hatte Vietnam einst kolonialisiert und es ist erst vierzig Jahre her, seitdem sich die beiden Länder einen erbitterten Grenzkrieg geliefert hatten.
Smartphones, Krabben und Ferkel
Wirtschaftlich scheinen sich die Nachbarn aber versöhnt zu haben. Der bilaterale Handel zwischen Hanoi und Peking jagt von Rekord zu Rekord. In diesem Jahr soll der Gesamtwert des Waren- und Dienstleistungsverkehrs auf ein Hoch von 100 Milliarden US-Dollar klettern, rechnen Experten. Im letzten Jahr waren es bereits 22 Milliarden mehr als 2016. Vietnam profitiert am stärksten von der Entwicklung. Im letzten Jahr stieg der Wert der Exporte von Vietnam ins Nachbarland um 61,5 Prozent auf über 35 Milliarden US Dollar. Der Handel mit China macht inzwischen 22 Prozent aller vietnamesischen Ein- und Ausfuhren aus. Smartphones sind das wichtigste Exportprodukt. Auch Tonnen von Krabben und anderen Meeresfrüchten werden jeden Tag zum Nachbarn verschifft. Und Ferkel: Tausende von Schweinchen reisen jede Woche auf Lastwagen über die Grenze.
Aber trotz der positiven Entwicklung bleiben die Vietnamesen den Nachbarn im Norden gegenüber skeptisch. Und seitdem China begonnen hat, auf einigen der Inseln im Südchinesischen Meer militärische Infrastruktur aufzubauen, wird in Vietnam die Frustration über den mächtigen Nachbarn zunehmend auch im Alltag spürbar.
Kim-Ly, Hotelangestellte
Auch der Taxifahrer Duong sei „empört“ über das Verhalten Pekings im Südchinesischen Meer, wie er offen sagt. Chinesen seien allerdings auch seine Kunden, räumt er ein. „Aber Koreaner mag ich lieber.“ Der 49-Jährige wartet am Strand von Da Nang auf Fahrgäste, einem der touristisch wichtigsten Orte an der vietnamesischen Küste. Tausende von Urlaubern aus Korea, Thailand und China räkeln sich gemeinsam mit Einheimischen am Strand. Die Promenade wird von Hotel-Neubauten dominiert.
Hoffnung auf den „Chinaboom“
Viele der neuen Gebäude sind allerdings fast leer. Nur die leuchtend roten chinesischen Schriftzeichen flackern in der Nacht wie Symbole der Hoffnung auf den „Chinaboom“. Dieser habe für Vietnam nämlich erst begonnen, glaubt der Geldwechsler und Gelegenheits-Immobilienmakler Hung, Goldkette am Hals und Zigarette im Mundwinkel. Die Mittelschicht in China wachse jedes Jahr um Millionen, erzählt er. Millionen Menschen, die es sich zum ersten Mal leisten können, in Urlaub zu fahren. „Zu uns an den Strand von Da Nang“, lacht Hung.
Die Hotelangestellte Kim-Ly ist deutlich weniger enthusiastisch. Wenn es nach der 34-Jährigen geht, könnten die Chinesen alle zu Hause bleiben. „Die übernehmen unser Land“, klagt sie. Kritisieren wolle sie die Touristen zwar nicht, „von denen ich ja auch profitiere“. Sie sei jedoch „total empört, ja wütend“ über Pläne der vietnamesischen Regierung, an drei Orten des Landes weitere „besondere Wirtschaftszonen“ einzurichten, sogenannte SEZs.
Hanoi will aus jeder dieser Anlagen eine Art „Mini-Singapur“ machen: Investoren würden nicht nur attraktive Anreize und günstige Zoll- und Handelsbedingungen winken. Sie könnten das Land für 99 Jahre pachten, statt 70 Jahre, wie in den bisherigen 18 SEZs in Vietnam. Es ist offensichtlich, dass diese Zonen nur für die Chinesen gebaut werden“, sagt Kim-Ly. Denn China werde von Hanoi als Handelspartner favorisiert.
„Die Regierung verschleudert unseren Boden“
Schon heute ist Peking mit Direktinvestitionen im Gesamtwert von mehr als 21 Milliarden US-Dollar einer der wichtigsten ausländischen Anleger in Vietnam. „Die Regierung verkauft unseren Boden zum Schleuderpreis an den billigsten Bieter. Das ist unakzeptabel“, klagt Kim-Ly. Die Frustration treibt ihr die Tränen in die Augen.
Die Frau ist mit ihrer Empörung nicht allein. Seit Juni ist es in verschiedenen Städten zu Demonstrationen gegen die Pläne gekommen – ungewöhnlich in einem Land, in dem Proteste kaum vorkommen und noch seltener von der Regierung toleriert werden. Hunderte Demonstranten seien festgenommen worden, weitere wurden von der Polizei brutal misshandelt, hat die Organisation Human Rights Watch gemeldet. Die Proteste zeigten aber Wirkung. Der Beschluss im Parlament über das Gesetz zur Schaffung der SEZs wurde vorerst aufgeschoben. Um die Stimmung zu entschärfen, versprach Premierminister Nguyen Xuan Phuc, die Pachtzeit von 99 Jahren zu reduzieren. Auf wie viele Jahre, sagte er allerdings nicht.
Für Kommentatoren geht es bei den Demonstrationen aber um weit mehr als nur den vermeintlichen Griff Chinas nach vietnamesischem Land. Der unabhängige Journalist Pham Chi Dung verglich die Proteste mit dem „Arabischen Frühling“ – ein Zeichen für das tiefe Verlangen nach mehr Demokratie. Auch der Politikanalyst Nguyen Phuong Ling glaubt nicht, dass es den Demonstrierenden primär um die Expansion Chinas geht. „Es ist mehr ein Zeichen der tiefen Frustration und Unzufriedenheit über die allgegenwärtige Kontrolle der Obrigkeit“, sagt der Experte.
Widerstand wird erstickt
Derweil arbeitet die Regierung in Hanoi daran, die Möglichkeiten weiter zu beschränken, wie Bürger Widerstand mobilisieren und sich kritisch äußern können. Ein neues Gesetz soll die Nutzung digitaler Kommunikation drastisch einschränken und eine fast grenzenlose Überwachung erlauben. Alle Kommentare in sozialen Medien würden zensiert, melden Medien.
Besonders besorgniserregend für ausländische Unternehmen: Daten sollen künftig in Vietnam gespeichert werden müssen. „Das Ziel der neuen Gesetze ist nicht nur, die Sicherheit von Datennetzwerken zu schützen, sondern das Machtmonopol der kommunistischen Partei“, so Brad Adams, Asien-Direktor von Human Rights Watch.
Nur auf Flughäfen scheinen Meinungsäußerungen nicht allzu stark eingeschränkt zu werden – jedenfalls, wenn sie von Offiziellen stammen. Als am Kontrollschalter in Ho-Chi-Minh-Stadt einer Gruppe von Chinesen nach dem Abstempeln die Reisepässe zurückgegeben wurde, hat einer der Besucher eine böse Überraschung erlebt. Die Stelle, wo im Pass die Karte Chinas die „Neun-Striche-Linie“ zeigt, habe der vietnamesische Zollbeamte zweimal mit einer Bemerkung überschrieben: „F… you!“
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