piwik no script img

Chinatown-Eröffnung in KreuzbergEinmal chinesisch, bitte!

Zwei Schweizer*innen möchten mit Shanghai Mules und einem Hai das Chinatown-Nightlife rekonstruieren. Ein Fall von kultureller Aneignung?

Eine Schweizer Agentur bemüht sich um ein Chinatown in Berlin. Dazu kauften sie eine Menge Dekoration Foto: Chinachinatown

Berlin taz | Junge Menschen, viele mit Plateauschuhen, noch mehr schwarz gekleidet, drängen sich in einer stickigen Kel­lerbar, um chinesisch interpretierte Cocktails wie „Tom Yum“ oder „Shanghai Mule“, dazu Nudelsuppe und Dumplings zu konsumieren. Es ist Sonntagabend in einem großen Kellerraum gegenüber vom Spreewaldbad in Kreuzberg. Hier, im Stadtteil der Multikulturalität, haben die Schweizer*innen Yllnora Semsedini und Simon Bühler eine Chinatown erschaffen. Vergangenen Donnerstag war Eröffnung.

Die beiden nennen es allerdings „China China Town“, mit der schrägen Begründung, dass „es ja keine Chinatown ist, sondern unsere Interpretation davon“, so Semsedini. Sie lehnt im Gedränge an einer Kommode, auf der in einem Aquarium ein ausgestopfter Hai zur Schau gestellt ist. „Mit unserem Nightlife-Kunstprojekt haben wir uns eine kleine Welt gebaut, um uns darüber hinwegzutrösten, dass es in Berlin kein Chinatown-Nachtleben gibt. Wir sind nämlich alle Fans der Farben, Überraschungen und Nudeln“, sagt sie.

Die skurrile Dekoration – bunte Lampions, kitschige Winkekatzen, ein Bildschirm, auf dem chinesische Propagandavideos laufen – hat etwas Faszinierendes. Auffällig ist jedoch, dass keine Chines*innen zu entdecken sind. Weder in der Küche noch an der Bar, noch im leitenden Team von China China Town. Auf Nachfrage sagt Semsedini, dass es ihr anstößig erschien, explizit nach chinesischem Personal zu suchen. Außerdem hätten sie unter Zeitdruck gestanden.

Dass das ein Fall von kultureller Aneignung ist, scheint Semsedini nicht bewusst zu sein. Und darauf, dass die Idee an sich, eine Chinatown nach europäischen Vorstellungen zu konstruieren, schon höchst exotisierend ist, kam das Team wohl auch nicht. Sie wollten einfach einen „schönen Ort“ erschaffen, wie sie es aus L.A., New York und Paris kennen. Dabei ignorieren sie, dass die Hintergründe und Lebensrealitäten solcher Chinatowns weniger schön sind. Aber so etwas zu berücksichtigen, würde wohl den Spaß verderben.

Außerdem seien Chinatowns schon lange „kein Ort der Traurigkeit mehr“, sagt Yllnora Semsedini. Womit sie nur ein wenig recht hat: Mittlerweile sind viele Chinatowns zum beliebten Touristen- und Partyziel geworden – und kämpfen mit Verdrängung und Gentrifizierung.

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare