Chinas Minderheit Uiguren: Heimat des Widerstands
In Xinjiang leben Chinesen und Uiguren überwiegend getrennt. So ist eine neue Art der ökonomischen Apartheid entstanden.
Die Kritik am Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wegen dessen Umgang mit der chinesischen Medienzensur reißt nicht ab. Das IOC und allen voran Präsident Jacques Rogge hätten "sich zum Komplizen des chinesischen Regimes gemacht", sagte Marianne Heuwagen, Direktorin des Deutschlandbüros von Human Rights Watch. Das IOC müsse darauf bestehen, dass Peking sämtliche Internetbeschränkungen fallen lasse. Am Wochenende hatte Rogge erklärt, dass es bei den Olympischen Spielen keinen uneingeschränkten Internetzugang für Journalisten geben werde. Er sprach lediglich von einem "größtmöglichen Zugang". IOC-Vizepräsident Thomas Bach wies die Vorwürfe von Menschenrechtlern zurück und nannte die Frage des freien Internetzugangs eine "große Herausforderung" für das IOC. Einen Handel mit den Chinesen habe es nicht gegeben. EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering (CDU) verlangte volle Informationsfreiheit auch für chinesische Journalisten
PEKING taz Jeder Reisende, der von den Armenhäusern Zentralasiens, Tadschikistan und Kirgistan, über die chinesische Grenze in die alte Handelsoase Kaschgar kommt, staunt erst mal über den relativen Reichtum der Stadt: breite Alleen, glitzernde Kaufhäuser, großzügige Warenauslagen in vielen kleinen Geschäften - Kaschgar, die westlichste Stadt Chinas, scheinbar entrückt am hintersten Zipfel der Wüste Taklamakan, hat seinen Anteil vom chinesischen Wirtschaftswunder abbekommen. Doch zu welchem Preis?
Die Sinisierung ist der Preis nicht. Immer noch sind 90 Prozent der Einwohner Kaschgars Uiguren. Sie gehören damit der größten islamischen Minderheit Chinas an. In Urumqi, der Hauptstadt der Autonomen Region Xinjiang, wie Peking das alte Siedlungsgebiet der Uiguren taufte, ist die Situation anders: Hier ist die Mehrheit der Bevölkerung längst Han-chinesisch. Insgesamt sank der Bevölkerungsanteil der Uiguren in Xinjiang seit Gründung der Volksrepublik 1949 von über 90 auf 40 Prozent, aufgrund der Siedlungspolitik Pekings. Als größere Stadt mit 300.000 Einwohnern ist nur Kaschgar von dieser Siedlungsstrategie weniger betroffen. Dennoch ist hier der uigurische Widerstand zu Hause.
Er kam erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion mit der Entstehung anderer islamischer Bewegungen in den Nachbarländern zustande. China unterschätzte ihn. Chinesische Politiker fuhren nach Urumqi, sahen eine boomende Stadt und goldene Moscheen neben den silbernen Hochhaustürmen chinesischer Banken. Sie ließen sich blenden von der stolzen Tradition der Seidenstraße, auf der Chinesen und Uiguren über Jahrhunderte meist friedlich miteinander Geschäfte gemacht hatten. Sie übersahen die Wiedergeburt eines radikalen Islams auch innerhalb ihrer Grenzen und zudem die Tatsache, dass sich Chinesen und Uiguren in Xinjiang kaum mischten. Sie leben bis heute in getrennten Stadtvierteln, frequentieren nur selten die gleichen Läden und Restaurants, lernen oft an getrennten Schulen und Universitäten. In der Planwirtschaft bis Ende der 80er-Jahre ging noch vieles zwangsweise zusammen.
Die Marktfreiheit der 90er aber produzierte ökonomisch eine Art neuer Apartheid. Nun wirtschaftet jeder für sich und beide Seiten nicht ohne Erfolg, aber die Chinesen natürlich mit mehr Erfolg. Sie hatten die großen Investoren etwa bei der Ölförderung auf ihrer Seite. Nicht so die Uiguren, die weiter auf den Handel angewiesen waren. Auch dadurch wurde für die Uiguren das verbindende Element der islamischen Religion wieder wichtiger. Es half bei der Abgrenzung, es linderte den materiellen Neid. Dennoch sind die Uiguren heute gespalten. Viele von ihnen erkennen den neuen Wohlstand an, den China ihnen gebracht hat. Sie schauen über die Grenze und sehen die Armut in den islamischen Nachbarstaaten. Ebenso viele aber sind unzufrieden. Sie kritisieren vor allem die Unterdrückung des Islams, die mit Beginn der Attentate von radikalen Islamisten Ende der 90er-Jahre einsetzte. Seither schleusen die Behörden verstärkt politisch geschulte Imame in die Moscheen ein, die nichts vom Islam verstehen. Und sie überziehen die Provinz mit antiseparatistischer Propaganda, die aus Sicht vieler Uiguren immer offenerer gegen ihre Religion gerichtet ist.
Das gestrige blutige Attentat in Kashgar dürfte insofern nur wenige Bewohner Xinjiangs überrascht haben. Doch bei allen Gegensätzen bleibt offen, inwieweit sich die Uiguren wirklich zu einem radikaleren Islam hingezogen fühlen. Dass es sich eventuell um Attentäter mit organisatorischer Basis in Pakistan handelt, spricht für ihr Festhalten an der alten Handelskultur ihrer Region.
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