■ Chinas KP-Chef Jiang Zemin kündigt der Schweiz die Freundschaft: Der beleidigte Patriarch
Bis gestern konnte man in Jiang Zemin den aufgeklärten Alleinherrscher Chinas sehen. Doch nun ist das konfuzianische Image, das Jiang in den zehn Jahren seiner Amtszeit als Chef der Kommunistischen Partei Chinas aufbaute, jäh von ihm abgefallen. Noch nie hat man ein chinesisches Staats- und Parteioberhaupt in der Öffentlichkeit so ungehalten erlebt wie am Donnerstag abend im Berner Parlament. Dabei hätte allein ein Ausdruck des Unwillens über die gegen die Pekinger Tibet-Politik gerichteten Demonstrationen Jiang nicht nachhaltig geschadet. Doch der KP-Chef reagierte mit einer Verletzlichkeit, die nur Diktatoren eigen ist: Er machte seinen Ärger zur Staatsaffäre. Jiang kündigte dem Schweizer Volk selbstherrlich die Freundschaft auf – wie es früher ein beleidigter Kaiser getan hätte. Schlimmer noch: Er erklärte seine Gastgeber für unfähig, ihr Land zu regieren. Die Spitze dieser Anschuldigung liegt nicht darin, daß für Jiang die Niederschlagung von Demonstrationen zum Regierungshandwerk gehört. Das wußte man schon vorher. Aber hätte er eine ähnliche Aussage etwa in Süd-Korea oder auf den Philippinen gemacht, hätten manche den nachbarschaftlichen Frieden bedroht gesehen. Welches China duldet schon „unfähige“ Regierungen vor seiner Haustür?
Mag sein, daß Jiangs Schweizer Affäre in der Öffentlichkeit bald vergessen ist. In China erfährt das Volk ohnehin nichts davon. Doch für die diplomatische Weltbühne hat sich der KP-Chef demaskiert. Voller Lob hatte der Westen auf Jiangs zehntägige Amerikareise im Herbst 1997 reagiert, die sein großes internationales Coming-out darstellte. In den USA hatte man einen entspannten und um Dialog bemühten Pekinger Präsidenten kennengelernt. Die außenpolitische Unberechenbarkeit Jiangs deutete sich erst während seines Japan-Besuchs im vergangenen Jahr an, als er Tokio zu einer lächerlichen Unterschrift für seine Kriegsreue zwingen wollte und nach dem Scheitern des Vorhabens wütend auf Studentenproteste reagierte.
Die Berner Episode bestätigte nun das Bild von einem jähzornigen Patriarchen an der Spitze Chinas – ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die Volksrepublik mit ihrer Kritik an der Verletzung des Völkerrechts durch die Nato-Bombardierungen in Jugoslawien den größten Teil der Welt hinter sich weiß. Deng war da anders. Die Jahre mühseliger diplomatischer Aufbauarbeit in China stellte der Kleine Steuermann erst in Frage, als es 1989 um die Zukunft des ganzen Landes ging. Georg Blume
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen