Chinas Greta Garbo: In den USA wird Eileen Chang verehrt
Die Schriftstellerin Eileen Chang war selbstbewusst, großstädtisch und modern. Ang Lee hat gerade einer ihrer Kurzgeschichten verfilmt.
Eine junge Frau zwischen Pflichterfüllung und der Erotik der Gewalt im Hongkong der Dreißigerjahre. Eine Studentin soll die Geliebte eines Kollaborateurs mit den Japanern werden. Die junge Frau aber ist weit davon entfernt, ihr Begehren für abstrakte politische Ziele zu opfern. Sie verliebt sich in den Kollaborateur. Oder verliebt sie sich in die Macht, die sie über ihn hat?
Es ist eine interessante Frauenrolle, die Ang Lee sich da für seinen neuen Film "Gefahr und Begierde" ausgedacht hat, möchte man meinen - wüsste man nicht, dass der Film auf einer Kurzgeschichte von Eileen Chang beruht, der interessantesten Autorin Chinas, die in Deutschland kaum jemand kennt. Was kein Wunder ist, denn wieder ist die deutsche Verlagslandschaft ihrem Ruhm gerecht geworden, in punkto China so ziemlich alles zu verschnarchen, was relevant ist. Anders als in den USA, wo viele von Eileen Changs Werken in englischer Übersetzung vorliegen, ist nur ihr Roman "Das Reispflanzerlied" auf Deutsch erschienen -und das war vor 51 Jahren.
Eileen Chang, die sich vor ihrem Umzug in die USA Zhang Alling nannte, wurde 1920 als Tochter eines berühmten Mandarin in Schanghai geboren. 1952 verließ sie die Volksrepublik, ging zuerst nach Hongkong und dann in die USA, wo sie erst 1995 halb vergessen, völlig vereinsamt und verarmt starb. Im angloamerikanischen Raum wird sie heute von der chinesischen Exilgemeinde als dichtende Greta Garbo Chinas kultisch verehrt. In der amerikanischen Sinologie gilt sie als erste Autorin, die hochmoderne, milieugenaue urbane Literatur schrieb.
Damit schwamm Eileen Chang gegen die Regeln ihrer Zeit: Auf der einen Seite arbeiteten sich in China noch viele Autoren daran ab, auf den Spuren des europäischen Expressionismus die Stadt als abstrakte symbolische Ordnung, als "Hure Babylon" zu verklären. Frauen kamen höchstens als Männer fressende Femmes Fatales vor. Zum anderen wurden bereits die Grundmauern eines sozialistischen Realismus gelegt, der im Fall Chinas wenig später Großstadtliteratur als dekadent erklärte.
Eileen Chang dagegen schrieb über den Geruch und den Geschmack ihrer Stadt Schanghai und stellte mit viel Ironie und der Akribie eines Archivars Kaufhäuser, Märkte und Markenprodukte, bourgeoise Interieurs und Straßenszenen dar, ein größtmögliches Nebeneinander verschiedenster Kulturen und Lebensstile. In einem Essay vermerkte sie, dass sie den Lärm der Stadt poetischer fände als das Rascheln eines Pinienbaums und dass sie niemals einschlafen könnte ohne den Krach einer Straßenbahn. In einem Interview sagte sie ein andermal: "Das Interessante am Leben sind die unbedeutenden, kleinen Nebensächlichkeiten."
Mehr noch als die Urbanität ihrer Prosa aber besticht die Modernität von Changs Charakteren. Fast alle ihre Erzählungen schildern Heldinnen, deren Entscheidungen alles andere als heldenhaft ausgefallen sind und die sich jetzt mit den Konsequenzen herumzuschlagen haben. Oft sind sie Opfer starrer Traditionen geworden, der hässlichen Hierarchien von Klasse und Geschlecht. Immer aber rächen sie sich auch aufs Fürchterlichste. In "The Fallen City" etwa, einer ihrer besten und ebenfalls verfilmten Erzählungen, erklärt eine geschiedene Frau die Stadt zu ihrem persönlichen Schlachtfeld. Zu lange musste sie in Schanghai im Haus ihres Bruders versauern. Sie stürzt sich in eine hoffnungslose Liebe zu einem Playboy in Hongkong, und erst als die Stadt in den Wirren des Krieges fast unterzugehen droht, findet sich das passende Bild für ihre Verfassung.
Es geht bei Eileen Chang um Frauen, die nach unten treten, die gewitzt genug sind, kleine Nischen auszuheben - und sei es auch auf Kosten anderer. Ihre Literatur musste den linken Autoren Chinas ihrer Zeit einfach suspekt sein, denn weder gibt es darin Gewinner noch Verlierer, weder Unterdrücker noch Unterdrückte und auch keine wütenden Rebellen, die sich gegen Ungerechtigkeiten stemmen. Changs Prosa ist weder auf Empörung aus noch auf Mitleid oder Solidarisierung - und sie bietet keine Aussicht auf eine bessere Welt. Dennoch sind ihre Frauen Träumerinnen, die auf ein besseres Schicksal hoffen. Wahrscheinlich hat es Ang Lee auch diesem Subtext zu verdanken, dass er für seinen Film in Venedig den Goldenen Löwen bekommen hat. Es wäre Subtext genug für viele deutsche Leser.
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