China verschanzt sich für Olympia: Sicheres Spektakel
Sicherheitschecks und gigantisches Militäraufgebot: Die Stimmung in China erinnert mehr an Kulturrevolution als an internationales Sportfest. Intellektuelle sprechen von einem Polizeistaat.
PEKING taz China hat das Feuerwerk erfunden. "Feuerwerk ist das Wichtigste", sagt Cai Guoqiang, Chefdesigner der olympischen Eröffnungsfeier in Peking. Er hat für die Spiele eine neue Feuerwerkstechnik entwickeln lassen, mit der er 2008 Kindergesichter in den Himmel feuern und von dort lächeln lassen will. "Cool, rührend cool wird es sein", sagt Zhang Yimou, Chefregisseur der Eröffnungsfeier. Er ist Chinas im Westen erfolgreichster Filmregisseur. Jetzt will er garantieren, dass die Eröffnungsfeier niemanden an ein altes maoistisches Massenspektakel erinnert. Kein Zweifel: Zhang, der Weltregiestar, und Cai, der internationale Topkünstler, werden China gut verkaufen. Aber schaut die Welt überhaupt noch hin? Sind am Freitag wirklich alle Augen auf die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele im neuen Pekinger "Vogelnest"-Stadion gerichtet? Oder wird die Feier für die meisten nur eine dreieinhalbstündige Fernsehpause in der nicht abbrechenden Diskussion über Sinn und Legitimation der Spiele im kommunistisch regierten China sein?
Zwei Engländer und zwei Amerikaner befestigten gestern an der Pekingbrücke in der Nähe des Olympiastadions Protestplakate in 40 Meter Höhe. Damit prangerten sie die Tibetpolitik des Landes an. Nach einer Stunde wurden sie von der Polizei abgeführt. Das Organisationskomitee, das die Aktion scharf kritisierte, betonte, die Männer seien lediglich überredet worden, den Platz zu verlassen. Bekannt wurde zudem, dass dem Eisschnellläufer und Olympiasieger Joey Cheek die Einreise ins Land verwehrt wurde. Cheek ist Aktivist der Organisation Team Darfur. Er führt die unbegründete Ablehnung seines Visumantrags auf dieses Engagement zurück. China ist Sudans größter Ölabnehmer und Waffenlieferant. Die USA kündigten ihren formalen Protest an.
Peking ist alles andere als in Partystimmung. "Es ist, als sähe man in jedem Baum und Grashalm einen Feind", sagt KP-Mitglied Li Datong, Exchefredakteur der kommunistischen Jugendzeitung, der heute seine Partei offen kritisiert. Li findet es erschreckend, dass rings um das "Vogelnest" Raketen stationiert seien. Lächerlich ist aus seiner Sicht das Riesenaufgebot an freiwilligen Helfern der kommunistischen Nachbarschaftskomitees. "Selbst in meinem Wohnviertel weit außerhalb der Stadt sind zwei Sicherheitskontrollstationen von Freiwilligen eingerichtet. Die Leute plaudern und spielen Schach", beobachtet Li. Doch komme ihm das vor wie eine "Volks-Antiterrorkampagne, eine Generalmobilmachung, die atmosphärisch an die Kulturrevolution erinnert", sagt Li. Auch KP-Mitglied Shang Dewen, emeritierter Historiker der Peking-Universität und heute ebenfalls ein Kritiker seiner Partei, ist empört: "Jetzt zeigt sich mal wieder das diktatorische, willkürliche Gesicht der KP", meint Shang. Wie aber ist das zu erklären: Olympia findet endlich in Peking statt und soll China der Welt öffnen - stattdessen fühlen sich aufgeklärte Pekinger gegängelt wie zu Zeiten der Kulturrevolution?
Es hat etwas mit der Natur des kommunistischen Systems in China zu tun. Die meisten Chinesen empfinden heute ihren Alltag als frei. Sogar auf dem Tiananmenplatz in Peking tritt die Polizei an normalen Tagen nicht mehr in Erscheinung. Das KP-Regime, früher omnipräsent, ist für viele unsichtbar geworden. Doch mit Olympia kommt es plötzlich zurück: So viel Militär wie jetzt war seit der blutigen Niederschlagung der Studentenrevolte im Jahr 1989 nicht mehr in der Stadt.
Die Gefahr ist die gleiche wie überall: Terroristen. Dass die Olympischen Spiele für sie ein willkommener Anlass zu Attentaten sind, zeigte sich am Montag dieser Woche. China erlebte seinen schwersten bislang bekannten Terroranschlag. Im 4.000 Kilometer von Peking entfernten Kaschgar, einer Oasenstadt an der westchinesischen Grenze, überfuhren zwei Männer mit einem Lastwagen eine Gruppe Polizisten beim Morgenlauf, warfen mit Granaten und stachen mit Messern auf die Beamten ein. Bilanz: 16 tote und 16 verletzte Polizisten. Nie zuvor hat ein einziger Anschlag in China so viele Menschenleben gekostet. Die Polizei beschrieb die Attentäter als "Aufständische" der uigurischen Minderheit in Westchina, die für die Unabhängigkeit ihres Landesteils eintreten. Sie seien mutmaßliche Mitglieder der Ostturkmenischen Islamischen Bewegung (Etim), einer Gruppe, die vermutlich Verbindungen zu al-Qaida hat. Im Grunde war es genau der Anschlag, den Peking erwartet hatte, weshalb Kritiker im Westen schnell unterstellten, er könnte fingiert gewesen sein. Die detaillierte Berichterstattung in den zensierten chinesischen Medien aber lässt das nicht vermuten.
Umso mehr aber fühlen sich nun die KP-Oberen in ihrem Sicherheitswahn rund um die Spiele bestätigt. "Der Anschlag in Kaschgar beweist, dass die Maßnahmen in Peking nicht übertrieben sind", sagt ein einflussreicher außenpolitischer Berater der KP, der nicht mit Namen genannt werden will. Natürlich sei jetzt das Leben der Pekinger durch die vielen Eingriffe der Sicherheitskräfte gestört, doch müsse man Verständnis haben: Jedes Land, das die Olympischen Spiele ausrichtet, würde genauso handeln, argumentiert der KP-Mann. Er findet die Kritik des Westens fadenscheinig: Würde China strikte Sicherheitsmaßnahmen treffen, sei das Geschrei im Westen groß. Doch noch mehr würde kritisiert werden, wenn etwas Schlimmes geschähe. "Der Westen ist immer rechthaberisch. Er hat an allem, was China tut, etwas zu kritisieren", sagt er.
Und doch hat Peking rund um Olympia vieles nur geplant, um dem Ausland zu gefallen. Die westliche Architektur der Spielstätten heischt Anerkennung durch das Ausland, auf die meisten Chinesen wirkt sie dagegen eher befremdlich. Auch unternehmen die Veranstalter nun alles, um die Spiele vom Vorwurf des Nationalismus zu befreien. Dem Publikum ist es verboten, "China, gib Gas!' zu rufen. Stattdessen sind die Zuschauer aufgefordert, ausländische Sportler anzufeuern. "Die Regierung achtet sehr darauf, dass auch ja kein nationalistischer Eindruck erweckt wird", beobachtet Exchefredakteur Li. Doch ob das gelingt?
Jahrelang hat sich die KP immer wieder nationalistischer Propaganda bedient, zuletzt in ihrer Reaktion auf die westliche Kritik der chinesischen Tibetpolitik nach den Unruhen im März in Lhasa. Der Historiker Shang bleibt deshalb skeptisch: "Vor allem von jungen Leuten unter 35 könnte es schon bei der Eröffnungsfeier nationalistische Aktionen geben", sagt Shang. Die Jungen würden heute die dunklen Kapitel der KP-Geschichte wie die Kulturrevolution nicht mehr kennen und ließen sich mit nationalistischen Kampagnen im Internet leicht mobilisieren, warnt Shang.
Doch mit Demonstrationen ist eher von ausländischer Seite zu rechnen (siehe Kasten).
Nicht nur die übliche drakonische Einschränkung des in China verfassungsrechtlich garantierten Demonstrationsrechts bleibt während der Spiele bestehen. Der Pekinger Menschenrechtsanwalt Mo Shaoping beobachtet zahlreiche andere Fälle der Verletzung von Grundrechten in Zusammenhang mit den Spielen. "Für einen Imbissbudenbesitzer, der jetzt zwei Monate seine Bude dichtmachen muss, kann es schon um die Existenz gehen," sagt Mo. Auch würden Dissidenten strenger bewacht als sonst. Für die Stilllegung zahlreicher Fabriken wegen der hohen Umweltbelastung gebe es keine rechtliche Grundlage. Sogar die Gerichte seien betroffen. Sie müssten während der Spiele ihre Verhandlungen einstellen und dürften keine neuen Fälle aufnehmen. "Der Staat nutzt jetzt alle administrative Macht, um alles unter Kontrolle zu bekommen. Der Begriff vom Polizeistaat ist momentan zutreffend", sagt Mo.
Vielleicht auch deshalb wiegen sich die Veranstalter der Spiele letztlich in Sicherheit. Auch der Anschlag vom Montag hielt sie nicht davon ab, den Gästen aus aller Welt "sorgenfreie Spiele" zu versprechen. Sie erwarteten US-Präsident George Bush mit seiner ganzen Familie, den russischen Premierminister Wladimir Putin mit einer 400-köpfigen Delegation, den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy als amtierenden EU-Präsidenten und den japanischen Premier Yasuo Fukuda. Nicht auf der Gästeliste: die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die schon im Sommer vergangenen Jahres erklärt hatte, nicht an der Eröffnungsfeier teilnehmen zu wollen. Mit der Begründung, es sei Tradition, dass deutsche Regierungschefs nicht die Olympischen Spiele besuchten. Nur nahm Peking Merkel diese Begründung nie ab. "Wenn ein Staatschef anderes zu tun hat, haben wir volles Verständnis. Aber wir sehen es nicht gern, wenn die Nichtteilnahme als Olympia-Boykott-Show inszeniert wird", kommentiert der außenpolitische KP-Berater Merkels Fortbleiben. So maskiert er den Pekinger Vorwurf, dass sich Merkel, seit sie im vergangenen Herbst den Dalai Lama in Berlin empfing und damit aus KP-Sicht mit zu den diesjährigen Unruhen in Tibet beitrug, gegenüber den Spielen kontraproduktiv verhalten habe.
Bleibt also den Chinesen bei allem Streit über die Spiele am Ende nur das Vertrauen in die Glückszahl 8? "Acht" spricht man im Chinesischen ähnlich wie das Wort für "reich werden" aus. Deshalb ist die 8 die chinesische Glückszahl, deshalb eröffnen die Spiele am 8. 8. 2008 um 8 Minuten nach 8 Uhr. Mit Pekings größtem Feuerwerk aller Zeiten. Falls es nicht regnet. Es gebe vier Notkonzepte für die Eröffnungsfeier, für stürmischen, starken, mittelstarken und leichten Regen, sagt Chefregisseur Zhang. Die 4 ist Chinas Unglückszahl. "Vier" wird ähnlich ausgesprochen wie das Wort für "Tod".
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