China und Google: Das nationale Internet
Wenn sich Google aus China zurückzieht, bricht dort das Netz nicht zusammen: Andere Portale haben viel mehr Nutzer. Das gilt für fast jede Web-Kategorie.
Sollte sich Google tatsächlich aus China zurückziehen, werden das erstaunlich wenige Nutzer zu spüren bekommen. Zwar hat der Internet-Riese mit seinem lokalen und derzeit noch unter Zensurbedingungen arbeitenden Portal Google.cn in den letzten Jahren zweistellige Marktanteile erreichen können. Doch konkurrierende Suchportale wie Baidu, Sina oder Netease sind erfolgreicher, so hatte allein Baidu im vergangenen Sommer über 60 Prozent Marktanteil.
Inzwischen gibt es für nahezu jedes im Westen populäre Angebot lokale Alternativen, die sich von den örtlichen Behörden genau – und vor allem: freiwillig – kontrollieren lassen. Twitter ist blockiert, stattdessen microbloggt man etwa bei Fanfou.com. Für das gesperrte Google-Video-Portal YouTube existieren mehr als ein Dutzend Alternativen.
Soziale Netzwerke wie Facebook wurden regelrecht 1:1 kopiert, wenn es nicht gleich chinesische – und damit zensierte – Pendants der US-Firmen selbst gibt, die mit örtlichen Partnern zusammenarbeiten - Myspace.cn ist ein Beispiel. Online-Shopping wird weder bei Amazon noch bei eBay betrieben, sondern auf Marktplätzen wie Taobao oder Alibaba, letzteres ein Joint-Venture mit Yahoo.
Auch die Zensurmaßnahmen könnten sich bald nochmals deutlich verschärfen. Derzeit arbeitet die Regierung in China noch mit verhältnismäßig einfachen Filtersystemen, die das eigentlich freie Internet einschränken und anhand von Begriffslisten "böse" Seiten sperren. Das erfolgt gerne auch anlassbezogen – etwa zuletzt verstärkt zum 60. Jahrestag Chinas. Die Technik, die sich "goldener Schild" nennt, wird regelmäßig angepasst und soll mehr als eine halbe Milliarde Dollar gekostet haben; rund 30.000 Polizisten sind zur Netzkontrolle im Einsatz, nahezu jede Stadt hat eigene Zensureinrichtungen.
Experten zufolge plant das Land jedoch noch deutlich radikalere Maßnahmen: So könnte das gesamte chinesische Internet vom Rest der Welt abgetrennt werden - in Form einer Art von Intranet, in dem die lokalen Angebote dominieren.
Jens Kubieziel, Netzzensurexperte beim Chaos Computer Club, erläuterte auf dem Berliner Hackerkongress "26C3" Ende Dezember, wie das aussehen könnte: China plane in ein bis zwei Jahren, auf das so genannte Whitelisting umzusteigen. Dabei ist das gesamte Netz zunächst einmal gesperrt. Nur Angebote, die explizit zugelassen würden, seien dann noch zugänglich – im Gegensatz zum heute eingesetzten Blacklisting, bei dem gezielt gesperrt werden muss. Der Plan diene auch zur Abschottung des Marktes gegenüber ausländischen Unternehmen: "Wenn ich nicht mehr bei Amazon ein Buch kaufen kann, muss ich es mir eben bei Chinabooks.co.cn oder so besorgen", sagte Kubieziel.
Unterdessen wurden weitere Details zu den Hacker-Angriffen bekannt, die Google zu der Drohung veranlasst hatten, den riesigen chinesischen Internet-Markt notfalls ganz zu verlassen. Das amerikanische IT-Security-Unternehmen iDefense Labs will Teile der Attacken zurückverfolgt haben.
Wie der Fachdienst "Ars Technica" meldet, seien dabei "Control-Server innerhalb des Bereiches der chinesischen Regierung" als Urheber ausfindig gemacht worden. Diese Rechner sollen für die Steuerung der Angriffe verantwortlich gewesen sein und hätten speziell auf westliche Regierungen, Industrieunternehmen oder Menschenrechtsorganisationen zugeschnittene Datenschädlinge verteilt, die dann monatelang unerkannt zur Spionage dienten.
Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Montag zudem, dass die Chinesen bei ihren Internet-Angriffen möglicherweise Hilfe von Google-Insidern bekamen. Mitarbeiter der Niederlassung in Peking würden derzeit überprüft, hieß es in dem Bericht, den Google selbst nicht näher kommentieren wollte, weil es sich um eine laufende Untersuchung handele. Chinesischen Medien zufolge wurden einige Mitarbeiter bereits versetzt, anderen sei gekündigt worden. Auch der Zugriff auf Googles interne Netzwerke sei in der Pekinger Niederlassung teilweise eingeschränkt worden - offenbar eine Sicherheitsmaßnahme.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?