China debattiert Löhne: Streiks in der Werkstatt der Welt
Nur ein winziger Teil der Arbeiter in China hat in den vergangenen Tagen die Arbeit niedergelegt. Doch die Debatte über Löhne und die Rolle der Gewerkschaften hat begonnen.
Während die Arbeiter des "Honda-Lock"-Unternehmens in Südchinaam Freitag noch überlegten, ob sie die Hoffnung auf höhere Löhne aufgeben und an ihre Bänder zurückkehren sollten, drangen aus dem Norden Chinas neue Streikmeldungen: Bei einem Zulieferer von Toyota in Tianjin legten mehrere hundert Beschäftigte die Arbeit ebenfalls nieder. Bei Honda-Lock forderten die Beschäftigten 96 Euro im Monat mehr, die Betriebsleitung bot 24 Euro. Nur ein winziger Teil der mehr als hundert Millionen Arbeiter aus der "Werkstatt der Welt" hat in den letzten Tagen gestreikt. Und doch hat der Konflikt inzwischen eine Bedeutung erreicht, die weit über die Autobranche und die Region hinausreicht. Er hat eine Debatte über die Zukunft Chinas als Billiglohnland angestoßen.
Chinas Zeitungen berichteten in dieser Woche über den Besuch von Premierminister Wen Jiabao auf einer Baustelle der Hauptstadt. Die amtliche Nachrichtenagentur Xinua zitierte ihn mit den Worten: "Der Wohlstand unserer Gesellschaft und die Hochhäuser sind Ergebnis eurer harten Arbeit und eures Schweißes." Die Regierung und die Gesellschaft "sollte die jungen Wanderarbeiter wie ihre eigenen Kinder behandeln". Konkrete Hilfestellungen bot er jedoch nicht an.
Viele Firmen in Südchina haben in den vergangenen Wochen ihre Löhne erhöht, um zu verhindern, dass der Streikfunke überspringt. Der weltgrößte Hersteller von Computerbildschirmen, die Firma TPV Technology, hat zum Beispiel angekündigt, die Löhne für seine rund 12.000 Beschäftigten in den kommenden Monaten um bis zu 20 Prozent zu erhöhen - nach einer ersten Anhebung von 15 Prozent Anfang des Jahres. Der Grundlohn der Arbeiter in der Region liegt nun in der Regel knapp über der gesetzlichen Mindestgrenze von 1.030 Yuan (122 Euro). Das ist immer noch sehr wenig: Wer etwas sparen will, muss angesichts steigender Lebenshaltungskosten viele Überstunden machen.
Höhere Löhne werden die Preise für die Produkte der Fabriken teurer machen - allerdings dürfte dies in den moderneren Branchen für die Kunden zu verkraften sein: Von den 400 US-Dollar, die ein iPhone in den USA im Laden kostet, sieht die chinesische Fabrik nur 20 Dollar, rechnet der Hongkonger Unternehmer Siu Nai-sun der South China Morning Post vor.
Als weitgehend nutz- und zahnlos hat sich in dieser Situation der "Allchinesische Gewerkschaftsbund" erwiesen. Dessen örtliche Vertreter ließen die Honda-Arbeiter nicht nur im Stich, sondern bedrohten sie auch mit Prügeln, falls sie ihren Streik nicht sofort wieder beendeten. Solche Reaktionen sind nicht außergewöhnlich.
Die Honda-Arbeiter forderten daraufhin nicht nur mehr Lohn, sondern auch das Recht, die bisherigen Betriebsräte abzuwählen und stattdessen Leute zu bestimmen, die sich besser für sie einsetzen. Sie gingen allerdings nicht so weit, unabhängige Gewerkschaften gründen zu wollen: Das wäre gegen das Gesetz. In vielen Betrieben sind die Personalchefs auch Arbeitervertreter und KP-Sekretäre. Die Mitarbeiter in den Gewerkschaftszentralen der Kreise, Provinzen und in Peking sind öffentliche Angestellte, die ihren Job von der KP bekommen haben.
Die örtlichen Gewerkschaftsfilialen erhalten ihr Geld direkt von den Unternehmen. Die sind gesetzlich verpflichtet, 2 Prozent der gesamten Lohnsumme an die Organisation zu zahlen. In der Regel werden die Arbeitervertreter in den Betrieben von oben bestimmt - Wahlen sind nicht üblich. Wie die Gewerkschaftsbeiträge verwendet werden, wird nicht offengelegt. "Sie müssen nur dasitzen und das Geld in Empfang nehmen", sagt der Pekinger Arbeitsrechtler Chen Bulei, der die Gewerkschaften eine "sehr geheime Organisation" nennt.
Honda-Arbeiter in der Stadt Foshan hatten sich vor zwei Wochen etwas Besonderes einfallen lassen: Sie riefen kurzerhand in Peking an und baten einen Professor für Arbeitsrecht, Chang Kai, sie bei ihren Lohnverhandlungen mit der Firma zu beraten. Der flog umgehend nach Südchina, um zwischen dem Management und den Arbeitern zu vermitteln. Innerhalb von sechs Stunden hatten sie sich geeinigt: Statt der zunächst geforderten Erhöhung um 95 Euro akzeptierten die Streikenden eine Zulage von 60 Euro - und gingen zurück an die Arbeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen