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China auf der BuchmesseNach dem Desaster

Trotz des Fehltritts vor der Buchmesse ist ein innerchinesischer Dialog weiter möglich. Der Westen muss versuchen, chinesische KP-Eliten und Dissidenten an einen Tisch zu bekommen.

Kommunikation: Unter dem Schriftzug "China" stehen zwei Besucher im China-Pavillon auf der Messe Bild: dpa

Das Vorspiel zur Buchmesse war ein Desaster. Danach lässt sich nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Buchmessenchef Jürgen Boos hätte beim China-Symposium vor drei Wochen die Dissidenten nicht ein- und wieder ausladen dürfen. Er hätte sich vor allem nicht entschuldigen dürfen, als die KP-Gäste aus Peking eine freie Aussprache mit den Dissidenten ablehnten und mit dem Boykott der Veranstaltung drohten. Er hätte diese Kommunisten aus dem Haus jagen sollen.

Aber in einem hatte Jürgen Boos recht: Es überhaupt versucht zu haben. Der Westen braucht nicht nur den interkulturellen Dialog mit China, er muss auch helfen, den schwierigen innerchinesischen Austausch zwischen KP-Eliten und Dissidenten zu vermitteln.

In China stehen sich beide Seiten hasserfüllt gegenüber. Für KP-Gänger sind die Dissidenten Nestbeschmutzer, die nichts Gutes an der Entwicklung des Landes lassen. Für die Dissidenten sind die KP-Leute Verbrecher, die gerade wieder ihren besten Freund unter Hausarrest gestellt haben. Spricht man aber als Westler mit beiden Seiten, lassen sich Zwischentöne vernehmen.

Jeder KP-Intellektuelle weiß um das hohe Maß westlicher Sympathie und Offenheit für die chinesische Kultur, welches etwa die chinesische Dissidentenliteratur erzeugt hat. Jeder chinesische Dissident weiß aber auch um die westliche Bewunderung für Chinas ökonomische und soziale Erfolge, die auf das KP-Regime zurückzuführen sind. Oft erst im Spiegel des westlichen Urteils sind beide Seiten bereit, neben der jeweiligen Kritik auch die Leistungen des politischen Gegners für das eigene Land anzuerkennen. Das nämlich ist die entscheidende Voraussetzung für einen politischen Fortschritt in China.

taz.de auf der Buchmesse

Die taz kooperiert dieses Jahr mit der Frankfurter Buchmesse. Unter dem Titel "Die Chinesen sind da" wirft die taz einen genauen Blick auf die Auseinandersetzung mit dem Gastland China.

Die taz steht für bedingungslose Meinungsfreiheit, für hartgeführte Kontroversen, für die – wenn nötig – offene Provokation. Sie steht für genau das, was auf der Buchmesse mit dem Gastland China in diesem Jahr zu kurz zu kommen droht.

Warum aber engagiert sich die taz – trotz des Eklats im Vorfeld um die Aus- und Einladung der chinesischen Dissidenten – für das Buchmessen-Experiment mit China?

Wir glauben, dass Rück- und Tiefschläge im Dialog mit China, der peinliche Fehltritt des Buchmessendirektors eingeschlossen, unvermeidlich sind. China ist der “große Fremde” für den Westen, sagt der Philosoph Jürgen Habermas. Das Land ist heute mächtiger denn je. Das macht den Dialog so schwierig.

Aber es gibt zu ihm keine Alternative.

Das taz-Portal zur Buchmesse finden Sie unter buchmesse.taz.de.

Meine Frau und ich haben 12 Jahre lang in Peking einen Salon geführt. Die Idee war, Parteileute und Regimekritiker gemeinsam an unseren großen Küchentisch zu laden. Ein Desaster wie die Buchmesse haben wir nie erlebt. Wohl aber mussten wir stets jedem Gast zuvor genau erklären, wer noch am Tisch sitzen würde. Taten wir dies nicht mit ausreichender Sorgfalt, kamen unsere Gäste erst gar nicht.

Diese Vorbereitung hat bei der diesjährigen Buchmesse offenbar gefehlt. Und selbst wenn wir im privaten Kreise alles gut präpariert hatten, kam es zu später Stunde immer wieder zu Wutausbrüchen, wenn die andere Seite schon nach Hause gegangen war.

Die Grunderfahrung war dennoch: Der Dialog ist möglich. Heute schon. Vielleicht noch nicht in aller Öffentlichkeit auf einer Buchmesse in Deutschland. Aber im kleineren, vertrauten Kreis. Darauf lässt sich aufbauen. Daher sollten alle Seiten das Gespräch weiter suchen, auch nach Rückschlägen. Und der Westen darf nicht unterschätzen, wie wichtig seine Moderatorenrolle dabei ist.

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7 Kommentare

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  • BH
    Barbara Höhfeld

    Sehr geehrter Herr Blume,

    Wären Sie selbst auf dem Symposium vom 12./13. September in Frankfurt gewesen, würden Sie anders reden. Eine Katastrophe hat dort nicht stattgefunden, außer dass die Oberbürgermeisterin glaubte, die offiziellen Gäste und gleichberechtigten Mit-Ausrichter des Symposiums nicht begrüßen zu müssen.

    Die Staatsvertreter Chinas wollten auf keinen Fall Dissidenten sehen, die Buchmesse wollte sie auf jeden Fall da haben. Also hat man den PEN einbezogen, der hat die Einladungen übernommen. Durch Überrumpelung der chinesischen Partner begrüßten die Buchmesse u. die Oberbürgermeisterin die Dissidenten offiziell. Die chinesischen Kooperations-Partner (die noch nicht begrüßt worden waren!) zogen sich gekränkt in den Nachbarraum zurück. Nachdem Herr Boos sich für die Überrumpelung (mein Wort) entschuldigt hatte, kamen sie zurück, und das Symposium fand wie vorgesehen statt. Wir hatten einem beispielhaften Fall von ziviler Konfliktbewältigung beigewohnt.

    Was war daran katastrophal???

  • MH
    Magnar Hirschberger

    Zwischen politischen Verfolgern und deren wehrlosen Verfolgten gibt es nichts "neutral" zu "vermitteln". Für die Chinesen sind wir Laowei ("Niemand") und mißliebige Personen verschwinden in China ohne die Umstände irgend welcher Gerichtsverfahren in Arbeitslagern, chin.: Laogai ("Nirgendwo").

     

    Der ganze Rechtsstatsdialog mit China ist eine Farce. Hier unterscheidet sich China elementar von Vietnam. Die KP Chinas wünscht schlicht keinen Rechtsstaat. Vielmehr setzen die Funktionäre dort auf Methoden der Machtausübung, wie sie schon frühere Dynastien genutzt haben.

     

    Der tradierten chinesischen Auffassung von Gesellschaft ("Staatsfamilie") sollte jeder soll bei Beachtung seines "angestammten Platz in der Herarchie" demnach seine Mittel und Beziehungen für sein eigenes "Netzwerk der Macht" knüpfen - genau darauf beruht Chinas Gesellschaft.

     

    Wenn die Mitglieder in der Familie sich ihres angestammten Platzes entsprechend verhalten, die Alten voller Tugend, die Jüngeren die kindliche Pietät gegenüber den Älteren beachtend einhalten, die richtigen "Riten" (Verhaltensweisen) nach außen zeigend, dann kehrt laut Konfuzius "Harmonie" in der Gesellschaft ein. Da wird zwischen der "Kernfamilie" und der "Staatsfamilie" nicht groß unterschieden.

     

    Wie Liao Yiwus "Frau Hallo und der Bauernkaiser" aufzeigt, sehen dies auch die meisten Chinesen so. Mit unseren Vorstellungen von einem Rechtsstaat haben die zweieinhalb Jahrtausende alten Vorstellungen der Chinesen aber nichts zu tun. Und auch in China werden sich die Dinge ändern, wenn auch anfangs nicht so schnell ...

     

    Wir sollten hier also auf keinen Fall "neutrale Vermittler" sein. Frau Merkel tat hier das Richtige - sie hielt ein klares Plädoyer für den Rechtsstaat. Herr Xi Jinping antwortete - wenig überraschend - pflichtgemäß für sein System.

     

    Für uns es vor allem wichtig, abseits von dem ganzen Wachstumswahn etwas über die Normalbürger Chinas zu erfahren - wie sie leben und denken. Wenn Liao Yiwu und Kollegen genau dies leisten, ist dies für uns und die Chinesen ein großer Gewinn.

     

    Magnar Hirschberger

  • RR
    rudi renner

    jan z. volens bringt es auf den punkt. deutschland einig schläferland.

  • VM
    Volker Müller

    Dieser Kommentar ist ja wohl mehr als daneben.

    Erstens wird der Eindruck erweckt, als ob es quasi zwei gleichberechtigte Parteien gibt. Der Einfluß der "Dissidenten" in China ist ziemlich genau null, Aufwertung finden sie nur durch anti-chinesische Kreise im "Westen". Vor 20 Jahren mag das anders gewesen sein, aber heute gibt es keine "Dissidenten", die ernsthaft etwas zur Entwicklung Chinas beitragen können (wenn sie denn wollen).

    Zweitens ist es völlig überheblich und unangemessen, wenn der "Westen" glaubt, innerchinesische Dialoge initieren zu können.

     

    Diskussionen, wie der schwierige Weg in die Zukunft gestaltet werden soll, sind Alltag in China, in- und außerhalb der KP. Das Problem der "Dissidenten" ist, daß sie sich selbst außerhalb des Dialoges stellen, offenbar lieber mit westlichen China-Kritikern sprechen, als mit ihren Landsleuten. Warum sie sich so verhalten, da müssen Sie sie selbst fragen.

  • JZ
    jan z. volens

    Der liebe Michel verpasst wieder einmal den Expresszug der weltweiten Entwicklungen. Mit "high tech" hat er es schon verschlafen und muss den "Fortschritt" von den Wissenschaftler in USA (meist von China oder Indien!)importieren. Der Russe sitzt auf dem nahen Gas und Oil. Und jetzt zieht das hochkapitalistische China um die Erde: Nur noch der Michel und ein paar Euros glauben an das "kommunistische" China. Der Welt zweitreichste Mann - Warren Buffet in Omaha, Nebraska glaubt auch nicht an das "kommunistische" China - und steigt gross ein in Chinas Industrie. Eine fuehrende Brokerage in USA deutet of China und Asien. Und die monatlichen Steigerungen der Aktienpreise sind beindruckend. Die Deutschen mit ihrer Kratscherei und ewigen Besserwissen werden sich noch von China selbst rausegeln - waehrend New York und London lieber noch mehr Verbindung mit der chinesischen Wirtschaft erhandeln.

  • I
    iBot

    "Diese Vorbereitung hat bei der diesjährigen Buchmesse offenbar gefehlt."

     

    Ist ja auch nur die Buchmesse. Wer kann da schon Vorbereitung erwarten, wenn es um Künste geht?

  • JO
    Jürgen Orlok

    Zitat:

    "...muss (der Westen) auch helfen, den schwierigen innerchinesischen Austausch zwischen KP-Eliten und Dissidenten zu vermitteln. "

    Der Westen als neutraler Vermittler ... wie schön, daß der Autor das Glück hat, auf der herrschenden Welle des Westens zu gleiten ....

    FREIHEIT im Westen ist ein 'disposable good', das sehr viel eher beschränkt wird, wenn es Ernst werden könnte, als in Schwellenländern mit realen tödlichen Problemen ...

    Es ist doch wohl mal nötig darüber nachzudenken, was es bedeutet, wenn der z.B. der Dalai Lama (?) den Herrn George W.Bush als einen Freund bezeichnet.

    Den Westen als freundlichen Helfer zu bezeichnen ist doch wohl ziemlich verkommen ...

    oder

    wenigstens bewußt blauäugig ...

    WIR der Westen sind nur etwas flexibler im Moment, da die akute innere Bedrohung durch Wunsch nach Änderung sehr gering ist ...

     

    China ist historisch gerade in der Phase des Frühkapitalismus - marxistisch gesehen ...

     

    Ein Dissident, der aus Prinzip handelt, hat leider keine Freunde auf dieser Welt ...

    nur Agenten der jeweils äußeren Feinde haben haben Freunde !