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Chillen in der ZukunftDas Ende einer Ära

Unser Kolumnist verabschiedet sich von seiner Kolumne und zieht sich auf seine Yacht zurück. Das hat er sich im Schweiße seines Angesichts verdient.

Endlich frei! Foto: Aurora Photos/imago

W ir schreiben das Jahr 2062. Ich bin nun tot, daher endet nach über hundert Jahren diese wohl längste Kolumne nach dem Neuen Testament.

Ich bin der taz unendlich dankbar, denn seit Mahatma Gandhis monatlicher Gastro-Glosse „Dhal der Wahl“ hat in diesem Blatt niemand mehr einen derartigen Vertrauensvorschuss genossen: totale inhaltliche Freiheit bei einem selbst zu bestimmenden Salär – wegen der ersten Blankoschecks fragte meine Hausbank noch verwundert nach, ehe sie sich an die monatlich eintrudelnden Phantasiesummen gewöhnte.

Was nicht wenige Menschen hier enttäuschen wird: Ich bin gar nicht tot; das war nur einer meiner legendären Twists, für die mir seit jeher Liebe wie auch Hass entgegenschlagen.

Braungebrannt wie eine Moorleiche schippere ich mit meiner Luxusyacht, der „Spirit of Melanoma“ über die Ägäis. Aber der Preis, den meine Psyche dafür bezahlt hat, war fast so hoch wie mein Lohn: Einmal im Monat 80 Zeilen; wie oft drohte ich unter diesem unmenschlichen Druck zu zerbrechen, wie oft habe ich geweint. Meine Haare sind über die Zeit schlohweiß geworden, auch einen Weisheitszahn habe ich eingebüßt.

Endlich Rosmarinkartoffeln!

Nun bin ich frei. No more columns … ein herrlicher Lebensabend ohne diese zermürbende Pflicht liegt vor mir: Ankerplatz suchen, Baden, Schnorcheln, und mit dem Beiboot an den Strand zur nächsten Beach Bar. Am Abend hauen wir an Bord einen selbst harpunierten Oktopus auf den Weber Grill (Deppen-Space im Original). Dazu gibt es Rosmarinkartoffeln.

Lia streichelt mir den silbrigen Schopf, den sie immer „so supersüß“ findet, und schenkt uns vom Frühstückschampagner nach. Die Urenkelin meines Futurologen Zbigniew ist unheimlich reif für ihre dreiundzwanzig, die achtzig Jahre Altersunterschied merkt man uns beiden null an – das sagen auch meine Freunde, denen ich Geld geliehen habe. Wenn das Glück an die Tür klopft, fragt es beim Öffnen schließlich nicht, „wie alt bist du?“, sondern, „puh, ich dachte schon, es wäre niemand zu Hause“. Wir scheißen auf die Vorurteile der Gesellschaft. Sollen sich die Linksspießer doch vor Neid in den Hintern beißen – wohl bekomm’s.

Uns verbindet ohnehin eher eine Seelenverwandtschaft, der Humor, das Interesse an Politik, Philosophie und Kunst. Sie liebt meine Lebenserfahrung, die ich den Jungspunden voraushabe. Im Grunde stehen wir zwei Turteltäubchen sinnbildlich für die Vermählung des ­Gestern mit dem Heute und dem Morgen. Schließlich ist die Zukunft auch nur die Vergangenheit von übermorgen.

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Uli Hannemann
Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.
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3 Kommentare

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  • Halloohoo!?



    Käpt'n Hannemann?



    Das ist ja so eine Sache mit der Wahrheit, manchmal will man die gar nicht hören und manchmal ist sie ein Witz.



    Ich hoffe sehr, dass es sich bei der Ankündigung um Letzteres handelt!?



    Also Rente ab 2062 wäre für mich schon o.k., darüber muss ich mir dann keine Gedanken mehr machen, aber doch nicht gez!?



    Es gibt gerade so Vieles, das ernsthaft traurig macht und er wäre noch trauriger, wenn eine der lustigsten Kolumnen verschwindet.



    Sehr geehrter Hannemann, tu uns das nicht an!



    wer will sich in den Schlaf weinen,



    wenn er statt dessen schmunzeln kann!?



    Die Wahrheit hat zwei Seiten, ich hoffe, die richtige spricht (weiter) für uns!!!

  • Mit Abstand die beste taz-Kolumne ever! Viel gelacht und gefreut! Danke! To old to die young! Alles richtig gemacht.

  • Da wünsche ich Gut Wind und immer eine Handbreit Wasser unterm Kiel. :-)