Chemiemüll: Die Altlasten der anderen
Nach der Schließung der Lackfabrik in Rahlstedt sind Chemikalien im Boden geblieben. Die Anwohner fordern eine Sanierung, doch niemand sieht sich zuständig.
An der Gabelung zweier kleiner Straßen in einem Wohngebiet in Alt-Rahlstedt steht die Fabrik Arostal, die 1909 als Norddeutsche Lackfabrik eröffnet wurde. Die verwaschene gelbe Farbe blättert von den graffitibesprühten Wänden ab, die meisten Fenster sind mit Sperrholz verschlossen. Das Gelände ist in zwei Flurstücke unterteilt, dazwischen ist ein kleiner Flusslauf, die Wandse. Im Wäldchen dahinter steht eine flache Halle. "Da haben die ihr Nitro gelagert, nachdem die alte abgebrannt ist", sagt Charles Miller.
Schon seine Eltern haben hier gewohnt, 1920 haben sie ihr Haus in der Siedlung gekauft. Die Häuser um die Fabrik herum sind gut gepflegt, die Hecken akkurat beschnitten. Der 72-Jährige geht eine Kontrollrunde um das Gelände. Er ist in Rahlstedt geboren und wohnt seitdem im Altrahlstedter Kamp. Gemeinsam mit seinem Sohn Ralph und anderen Gleichgesinnten sieht er hier regelmäßig nach dem Rechten.
Seit 2005 ist die Fabrik außer Betrieb, die Besitzer sind insolvent. Früher wurden hier Metallschutz, Leuchtfarben, Kunstharzlacke und Grundierungen hergestellt. "Im Sommer riecht man die Lösungsmittel immer noch. Heute drückt der Regen den Geruch runter." Die Anwohner fürchten um ihre Gesundheit. Sie glauben, dass Chemikalien in den Boden übergegangen sind und sich in die umliegenden Grundstücke verteilen. Vor einem Jahr haben sie sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen.
Für die Sanierung kämpft auch Ole Thorben Buschhüter, SPD-Bürgerschaftsabgeordneter aus dem Wahlkreis Rahlstedt. Seit Oktober letzten Jahres stellt er Anfragen an den Senat, in der Hoffnung, die Stadt zu einer Sanierung zu bewegen. In seiner letzten Anfrage vom 26. Juli hat er Sicherheitsfragen auf dem Gelände angesprochen. Die Anwohner finden die Tore zu niedrig, an einer Ecke ist der Zaun heruntergetrampelt. "Das sind die Kinder. Ich hab hier mal einen Jungen erwischt, der alte Zeitungen vom Austragen entsorgen wollte", sagt Charles Miller. Im Antwortschreiben des Senats heißt es, das Betreten der Gebäude sei "nicht ohne Weiteres möglich".
Ralph und Charles Miller klettern über die Zaunreste am Boden, ein schmaler Pfad führt zu zwei blauen Rohren mit verschlossenen Bohrlöchern. Eines davon wurde neu abgedeckelt. "Das ist wohl innerhalb der letzten Woche gemacht worden, davor war das obere Ende abgebrochen", sagt Ralph Miller.
Die Hamburger Umweltbehörde hat 2001 die Belastung des Bodens untersucht. Man fand vor allem Benzol in einer leicht erhöhten Konzentration. Theoretisch könne der gesamte Bodenbereich von der Verschmutzung betroffen sein, heißt es in einer Stellungnahme vom Oktober. Behördensprecher Volker Dumann sagt jedoch, dass derzeit keine Gefahr davon ausgehe. Der Boden in drei Metern Bohrtiefe sei sehr fest, eine Mergelschicht verhindere, dass die Chemikalien ins Grundwasser gelangten. Eine Untersuchung ergab 2002 jedoch, dass das oberflächennahe Grundwasser um ein Vielfaches erhöhte Kohlenwasserstoff-Werte zeigte.
Ein weiteres Problem auf dem über 9.000 Quadratmeter großen Gelände ist eine artesische Quelle. Die entsteht, wenn ein Spannungsverhältnis zwischen zwei Grundwasserleitern besteht. Ein Teil des Grundwassers tritt so an die Erdoberfläche. Der Umweltbehörde ist dieses Problem bekannt, seit 1985 wird das ausgetretene Wasser in die Wandse abgeleitet. Die Anwohner sehen noch weitere Probleme: "Was ist mit dem Zeug, das durch den Regen in die Wandse fließt?", fragt Ralph Miller. "Das ist doch auch gefährlich."
Der Bebauungsplan Rahlstedt 12 aus dem Jahr 1969 weist eines der beiden Flurstücke als öffentliche Grünfläche aus, da das Gelände im Überschwemmungsgebiet der Wandse liegt. "Wir möchten, dass die Stadt den Plan einhält", fordert Charles Miller.
Für die Sanierung zuständig wäre das Bezirksamt Wandsbek. Dort verhandelt man gerade mit der Stadt Hamburg, ob etwas passieren müsse. "Die Grundstückseigentümer sind dafür verantwortlich", sagt Behördensprecher Dumann. "Solange sie das Gelände nicht an die Stadt verkaufen wollen, ist das nicht unsere Sache."
Fritz Rosenberger gehört zur Erbengemeinschaft, die das Grundstück besitzt. Er würde verkaufen, wenn die Stadt einen guten Preis zahlte. "So wie es ist, ist das Grundstück ja nichts wert. Wir können ja auch nicht bauen." Laut Behörde haben Gutachten ergeben, dass das Gelände bei neuer Bebauung sofort aufwendig saniert werden müsse.
Im Juni 2006 erließ die Stadt eine Sanierungsanordnung an die Eigentümergemeinschaft. Die legte Einspruch ein. "Wir haben das ja nicht verschuldet, und bei dem Fabrikbesitzer ist nichts mehr zu holen", sagt Rosenberger. 2009 hätten die Erben 70.000 Euro für den Abtransport der Lackreste bezahlt. "Es gab danach eine Abnahme der Stadt. Seitdem ruht die Sache. Wir wollen da eigentlich kein Geld ausgeben", sagt Volker Dumann.
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