Chef der Unions-Wirtschaftsvereinigung: "Es muss etwas geschehen"
Josef Schlarmann, Vorsitzender der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der Union, will schnelle und effektive Maßnahmen gegen die Finanzkrise.
taz: Herr Schlarmann, mit Ihrer Forderung nach einem Konjunkturprogramm in Höhe von 75 Milliarden Euro sind Sie im CDU-Vorstand gescheitert. Finden Sie sich damit ab?
Josef Schlarmann: Auch wenn das Weihnachtsgeschäft noch florieren wird: Im kommenden Jahr wird uns die Wirtschaftskrise erreichen. Schon heute zeigen sich diese Probleme in den Schlüsselindustrien, der Auto- und der Chemiebranche oder der Schifffahrt. Das wird im kommenden Jahr psychologisch wirken und zu mehr Arbeitslosigkeit führen.
Die EU fordert Konjunkturspritzen, die Vereinigten Staaten machen es vor. Droht Deutschland wirtschaftlich abgehängt zu werden?
Es muss zwingend etwas geschehen. Die Bundesregierung hat sich dazu bekannt - mit dem kleinen Konjunkturpaket. Das reicht allerdings vorne und hinten nicht aus.
Die Kanzlerin beteuert, im Januar werde sie die Lage neu bewerten. Haben Sie noch Hoffnung, dass Merkel Steuersenkungen noch für 2009 verspricht?
Ja. Im Januar müssen wir an drei Punkten ansetzen, nicht mehr. Und das sind: Steuer- und Abgabensenkungen für private Haushalte, Investitionsanreize für Unternehmen sowie Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, beispielsweise in Schulen und Straßen.
Bis eine Straße nach all den Planungsverfahren gebaut wird, ist die Finanzkrise längst vorüber.
Aber in den Kommunen kann so etwas viel unbürokratischer und schneller geschehen, weil es dort vorbereitete Projekte gibt. Bei Investitionen in Kindergärten oder Schulen. Investitionen in diesen Bereichen kommen direkt bei den Handwerkern in der Region an.
Glauben Sie noch, dass die Kanzlerin ihren Widerstand gegen stärkere Konjunkturhilfen aufgibt?
Frau Merkel hat heute in ihrer Rede gesagt: Wenn sich die Koalition am 5. Januar zusammensetzt, legen wir alle Optionen auf den Tisch. Und dann wird auch über Steuersenkungen, die noch 2009 gegen die Konjunkturkrise wirken sollen, gesprochen werden. Wir brauchen beides: Stärkung der Angebots- und der Nachfrageseite.
Viele Bürger profitieren doch gar nicht von Steuersenkungen, weil sie eine hohe Abgabenlast drückt.
Stimmt, da muss etwas geschehen. Wenn es nach mir geht, wählt die Regierung einen doppelten Ansatz: Einerseits müssen wir die mittleren Einkommen entlasten, indem wir die kalte Progression abschaffen: Dies bedeutet, dass viele Menschen kaum noch von Gehaltserhöhungen profitieren, weil diese von einem höheren Steuersatz aufgezehrt werden.
Und bei den unteren Einkommen?
Dort müssen wir bei den Sozialabgaben ansetzen. Bei den so genannten Midi-Einkommen - also Einkommen zwischen 400 und 800 Euro - wird nicht der volle Sozialversicherungsbeitrag fällig, sondern ein gestaffelter. Diesen Bereich könnten wir dann auf 1.200 Euro ausweiten. Da hätten wir sogar die Sozialdemokraten auf der Seite der Union.
Was halten Sie vom Vorschlag, Konsumgutscheine an die Bürger zu verschicken?
Davon halte ich wenig. Solche Gutscheine haben nur einen Nachfrageeffekt. Man geht damit in den Media-Markt und kauft sich eine Waschmaschine. Erfahrungen in den USA zeigen uns: Der Konsum erhöht sich für ein Quartal - und danach bricht er wieder ein.
Heiner Geißler forderte, das Arbeitslosengeld II auf 400 Euro anzuheben. So flösse das Geld in den Konsum.
Das bringt genauso wenig wie die Gutscheine. Eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes hätte lediglich Nachfrageeffekte. Und es hätte sogar einen negativen Angebotseffekt: Hartz IV würde wieder attraktiver.
INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren