: Charmante Cordjacken-Clochards
■ In seinem Kinodebüt Louise (Take 2) illustriert der französische Weltenbummler, Fotograf und Jungfilmer Siegfried menschliches Elend in wohldosierten Häppchen
Ein Satz wie aus der Kontaktanzeige: „Siegfried reist viel, eigentlich ständig, manchmal lange, immer allein“. Doch hier wird nicht für einen reiselustigen Single geworben, sondern ein französischer Filmemacher porträtiert. Das Presseheft zu Louise (Take 2) räumt dem Künstler ohne Nachnamen überproportional viel Platz ein, aber schließlich ist Siegfried auch ein echter Tausendsassa. Als Weltenbummler, Fotograf, Musiker und Regisseur ist der 25-jährige prädestiniert für die Rolle eines auteurs, und die Verleihinformationen schreiben ihn wortreich ins fragwürdige Pantheon des Autorenfilms. Für sein abendfüllendes Kinodebüt schultert Siegfried der Rastlose seine Kamera, um ebenso unsteten Jugendlichen durch das zeitgenössische Paris zu folgen.
Louise (Élodie Bouchez) und ihr Freund Yaya (Gérald Thomassin) durchqueren mit ihren Gefährten schwarzfahrend die Metropole. Nebenbei stehlen sie sich ein wenig Wohlstand aus den Kaufhäusern. In den geregelten Delinquenten-Alltag platzen zwei neue Gesichter, die Louise für sich gewinnen möchten. Der Grundschüler Gaby (Antoine Du Merle) und der Bohemien Rémy (Roschdy Zem) verändern nachhaltig die Gruppendynamik, wodurch Louise gezwungen wird, ihr Dasein zu hinterfragen.
„Take 2“ im Titel suggeriert eine Momentaufnahme, und so präsentiert sich der Film als Reihung von Impressionen, deren artifizielle Zufälligkeit mit einer Melange aus HipHop und Jazz verwoben ist. Ob in der U-Bahn, im Kaufhaus oder über den Dächern der Stadt – stets mischt die Musik das Gezeigte auf, damit auch ja urbane Poesie dabei entsteht. Das Projekt hätte auch „Siegfried dans le Métro“ oder „Louise und ihre vier Männer“ heißen können. Élodie Bouchez wird zum Fixpunkt für den Rabauken Yaya, ihren hilflosen Vater (Lou Castel), das Kind Gaby und natürlich für den charmanten Cordjacken-Clochard Rémy, der mit seiner weltgewandten Vagabunden-Weisheit unter dringendem „Alter ego des Regisseurs“-Verdacht steht.
Aber spätestens wenn Louise im weißen Nachthemd und mit großen Augen durch die plakative soziale Kälte irrt, ist der „moderne Nomade“ (Presseheft) Siegfried heimgekehrt, denn ikonenhafte Frauenfiguren sind symptomatisch für ganze Generationen des französischen Kinos. Sei es nun poetischer Realismus, Papas Kino, Nouvelle Vague oder „cinéma du look“ – immer wieder gingen Frankreichs Filme mehr oder minder überzeugend mit der enigmatischen Leinwandpräsenz ihrer Darstellerinnen hausieren.
Doch das wirklich Ärgerliche an Louise (Take 2) ist der Versuch Siegfrieds, seine Ballade von der heiligen Johanna der Bahnhöfe mit wohldosierten Häppchen menschlichen Elends zu illustrieren. Statt die Konsequenzen eines abbildenden Realismus zu tragen, gilt dabei die Devise: Hinsehen, wenn es dem Rhythmus dient; wegsehen, wenn es wehtut. So kokettiert der Film lediglich mit dokumentarischen Passagen, und missbraucht Figuren und Schauplätze, denen eine sehr reale Tragik innewohnt, für ästhetisch feingedrechseltes Kunsthandwerk. Das Ergebnis dieses entpolitisierten Sozio-Samplings eignet sich vorzüglich als Deckenprojektion für einen angejazzten Tanztee, doch mehr hat Siegfried bei diesem Zwischenstopp nicht erreicht. Vielleicht war der Jetlag schuld. David Kleingers
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