■ Vorschlag: Chansonnier der aussterbenden Art: Renaud im Pfefferberg
In der großen, in Frankreich gefeierten Verfilmung von Emile Zolas Roman „Germinal“ spielte Renaud, vor fünf Jahren war es, an der Seite von Gérard Depardieu die Hauptrolle. Die Rückkehr auf die Leinwand erfolgte im durchaus standesgemäßen Rahmen: Noch Renauds Großvater mütterlicherseits war einst in die Kohlegruben eingefahren.
Die Lieder, die Renaud von den örtlichen Komparsen bei den Dreharbeiten lernte, inspirierten ihn zu einem Album im nordfranzösischen Dialekt, das er den vom Aussterben bedrohten Bergarbeitern widmete und das ihm sogar einen nationalen Preis, die Victoires de la Musique, einbrachte – späte Ehre für einen Widerspenstigen.
Der letzte einer aussterbenden Spezies, das ist nämlich eigentlich auch Renaud, der mit vollem Namen Renaud Séchan heißt und in Frankreich etwa das verkörpert, was Billy Bragg für England ist – einer, der die altmodische Marotte pflegt, seine Musik als Vehikel einer politischen Haltung zu betrachten, und der sich dabei trotzdem seinen Humor bewahrt hat. Nebenbei verfaßt Renaud eine Kolumne für das satirische Wochenmagazin Charlie Hebdo, und mit dem Komiker Coluche verband ihn Zeit dessen Lebens eine enge Freundschaft. Als der beim Zusammenstoß seines Motorrads mit einem Lkw starb, schrieb Renaud ihm den musikalischen Nachruf „Putain de Camion“.
In Frankreich nennt man so jemanden ehrfürchtig Chansonnier, obwohl sich Renaud (auf dem Cover seines Live-Albums „Paris- Provinces: Aller/Retour“) in Jeans und Cowboystiefeln mehr als proletarischer, gitarrenbewehrter Geschichtenerzähler vom Typus „ehrlicher Rocker“ präsentiert und obwohl er sich nie um die Sympathien der Allgemeinheit bemühte – au contraire: Als Chronist der Vorstädte, der mit schmutzigem Argot-Straßenslang dem Chanson neues Leben einhauchte, wußte er zu provozieren, seit 1975 sein erstes Album erschien.
Das darauf enthaltene sarkastische „Hexagone“ durfte im französischen Radio nicht gespielt werden, und zehn Jahre später wiederholte sich die Geschichte in England, als Tim Daly eine englische Version des Renaud-Stücks „Miss Maggie“ einspielte. Heute ist Renaud ein Denkmal – so ändern sich die Zeiten. Daniel Bax
Heute abend ab 22 Uhr im Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Berlin-Mitte
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