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Chancenungleichheit im BildungssystemDeutsche Unis bleiben elitär

Akademikerkinder haben nach wie vor deutlich bessere Chancen, ein Studium aufzunehmen. Das belegt eine neue Studie.

Bildungsungerechtigkeit: Wenn die Eltern nicht studiert haben, machen die Kinder das auch nur selten Foto: Unsplash/Jason Wong

BERLIN taz | Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hat am Dienstag aktuelle Ergebnisse zu Bildungsbeteiligungsquoten, kurz den „Bildungstrichter“ veröffentlicht. Daraus geht hervor: Studienchancen in Deutschland sind nach wie vor extrem ungleich verteilt und hängen stark vom Bildungshintergrund der Eltern ab.

Das DZHW bzw. seine Vorgängerorganisation HIS berechnen seit 1985 in regelmäßigen Abständen die sogenannten Bildungsbeteiligungsquoten (BBQ), die Rückschlüsse auf die Entwicklung der Chancengleichheit beim Hochschulzugang in Deutschland ermöglichen.

Eigentlich hätte der aktuelle Bildungstrichter bereits im vergangenen Juni vorliegen sollen, als die Sozialerhebung des Deutschen Studierendenwerks veröffentlicht wurde. Damals fehlte die Grafik, die den Zusammenhang von Herkunft und Hochschulzugang aufzeigt, – und führte so prompt zu Vorwürfen gegen das CDU-geführte Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das DZHW führte „methodische Gründe“ für das Ausbleiben der Grafik an, die klassischerweise in der Erhebung des Studierendenwerks publiziert wird.

Der nun nachgelieferte Bildungstrichter belegt: Um Bildungsgerechtigkeit ist es in Deutschland nach wie vor schlecht bestellt. Lediglich 27 von 100 Kindern von Nicht-Akademiker*innen nehmen ein Hochschulstudium auf, während es bei Kindern von Akademiker*innern ganze 79 von 100 sind.

Seit 2005 hat sich kaum etwas verändert

Das DZHW identifiziert vielfältige Gründe für diese Chancenungleichheit. So werde der Kostenaufwand für höhere Bildung gerade von Eltern ohne eigene Studienerfahrung häufig überschätzt. Gleichzeitig stünden Haushalten von Akademiker*innen in der Regel mehr finanzielle Ressourcen zur Verfügung, um das Studium der Kinder zu finanzieren. Dies komme besonders in den Übergangsphasen zwischen den verschiedenen Schulformen zum Tragen, an denen vom Elternhaus Entscheidungen für oder gegen eine weiterführende Ausbildung getroffen werden müssen.

In der Konsequenz sind Kinder von Akademiker*innen im Vergleich zu ihrem Anteil an der altersgleichen Bevölkerung an den Hochschulen überrepräsentiert. Dieses Ergebnis ist zunächst nichts Neues. Bezeichnend ist mit Blick auf die Erhebungen der vergangenen Jahre jedoch eines: Seit 2005 hat sich kaum etwas an der nachteiligen Situation von Kindern geändert, deren Eltern nicht studiert haben.

Der Bildungstrichter betrachtet auch Hochschulzugangschancen von Studienberechtigten mit Migrationshintergrund. Die Analyse macht deutlich, dass auch hier die soziale Herkunft schwer wiegt. Egal ob Migrationshintergrund oder nicht: Student*innen aus nicht-akademisch geprägten Haushalten sind an den Hochschulen unterrepräsentiert. Student*innen mit Migrationshintergrund aus einer Akademikerfamilie sind an den Hochschulen allerdings noch viel stärker überrepräsentiert, als ihre Mitstudierenden ohne Migrationshintergrund.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Studierenden in Deutschland um fast 50% von etwa 1,94 Millionen auf knapp 2,84 Millionen angestiegen. Die jüngsten Ergebnisse des DZHW zeigen: In Bezug auf die soziale Herkunft der Studierenden hatte diese Öffnung des Hochschulssystems bisher kaum Auswirkungen.

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5 Kommentare

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  • Es ist sehr schwer einzuschätzen, in welchem Maß (nicht: ob!) dieser Befund für eine Benachteiligung von Nicht-Akademikerkindern spricht.

     

    Aus der Intelligenzforschung weiß man, dass ca. 50% der Intelligenzunterschiede eine genetische Basis haben. Und dass Intelligenz Auswirkungen auf Schulerfolg, schulisches Selbstkonzept und damit auf die Entscheidung für oder gegen ein Studium hat, ist bekannt. Insofern ist es zu erwarten, dass mehr Akademikerkinder die Voraussetzungen für eine Studium erfüllen als Nicht-Akademikerkinder. Nicht jeder Outcome-Unterschied ist also ein Zeichen für Benachteiligung.

     

    Das heißt aber nicht, dass es keine Benachteiligungen gibt. Es ist sicher so, dass auch unterdurchschnittlich begabte Schülerinnen und Schüler aus Akademikerfamilien eher studieren als gleichaltrige Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien. Und vielleicht sogar eher als deutlich begabtere Kinder aus Nicht-Akademikerfamilien. Insofern besteht sicherlich Handlungsbedarf.

     

    Um die Größe dieses Problems abzuschätzen, reicht es aber nicht aus, nur auf die Studienquoten in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu sehen, ohne andere relevante Einflussgrößen, insbesondere den IQ, mit einzubeziehen.

    • @arunto:

      "Aus der Intelligenzforschung weiß man, dass ca. 50% der Intelligenzunterschiede eine genetische Basis haben."

      Quelle, bitte.

      Und das Problem ist sehr wohl strukturell und fängt nicht erst in der Uni an, sondern schon bei der Diskriminierung, die Arbeiterkinder und Migranten (oder diejenigen, die "so aussehen") in Schulen erfahren, dem schlechteren Zugang zu Nachhilfe & kultureller Bildung, der Vetternwirtschaft einer sich reproduzierenden Elite, Existenzängsten, der Notwendigkeit, viel zu arbeiten, um ein Studium finanzieren zu können (was den Rattenschwanz nach sich zieht, dass ein Studium oft länger dauert und der Bafög-Förderungsanspruch verfallen kann) usw.

      "Es ist sehr schwer einzuschätzen, in welchem Maß (nicht: ob!) dieser Befund für eine Benachteiligung von Nicht-Akademikerkindern spricht."

      Die Zahlen scheinen recht eindeutig, oder? Wendet man Ihre Argumentation auf andere Dinge an, wird's knifflig:

      zB. sind, IIRC, 75% der Studierenden in kulturwissenschaftlichen Studiengängen weiblich, aber nur etwa 25% der Dozierenden. Liegt das nun auch an einem vermeintlich geringeren IQ der Frauen?

  • Aus der Tatsache, dass Kinder von Nicht-Akademikern im Schnitt seltener ein Hochschulstudium aufnehmen, zu folgern, dass dies an mangelnder Gerechtigkeit liege, halte ich für nicht gerechtfertigt. Es könnten auch andere Faktoren maßgeblich sein. Nimmt man an, dass es eine Korrelation zwischen der Intelligenz und der Aufnahme eines Hochschulstudiums gibt, dann könnte man auch daraus schließen, dass Intelligenz teilweise vererbbar ist. Das wäre nur eine Hypothese, die natürlich überprüft werden müsste, ich will damit nur deutlich machen, dass die Schlussfolgerungen im Artikel nicht richtig sein müssen.

  • Beispiel:

     

    Zwei Brüder, der eine , Besitzer dreier Autohäuser, der andere Arbeitnehmer im Handwerk.

    Der Autohausbesitzer hat drei Söhne, der Arbeitnehmer zwei Töchter und einen Sohn.

    Aus zweiter Ehe noch eine Nachzüglerin 10 Jahre jünger, die noch zur Schule geht.

     

    Beide haben drei Kinder, mit fast identischem Werdegang. Alle haben eine abgeschlossene Lehre im Handwerk.

    Alle haben ihr Fachabitur gemacht, aber nur die drei des Autohausbesitzers haben es wirklich, auch wenn nach anfänglichen Problemen geschafft einen Studiengang im Ingenieurswesen zu besetzen!

     

    Die drei Kinder des Arbeitnehmers konnten, trotz guter Zensuren, keine Zulassung zu ihren Studienplatzwünschen bekommen, obwohl es dort keine Zulassungsbeschränkungen gab.

    Als Grund wurde immer wieder Überfüllung der Studiengänge mitgeteilt, aber Kollegen der Kinder aus reicheren Familien haben es doch geschafft Studienplätze in den Studiengängen zu bekommen, der für die Kinder des Arbeitnehmers nicht zugelassen wurden, mit dieser sehr fadenscheinigen Begründung.

     

    Alle drei sind, weil sie als doppelte Staatsbürgerschaft die Schweizer Staatsbürgerschafft hatten, in die Schweiz gegangen und haben dort ihren, sehr erfolgreichen weg gehen können. Es haben zwar nur zwei ein Studium absolviert, aber alle drei haben sehr lukrative Arbeitsstellen.

     

    Jawohl, ich rede von mir und meinem Bruder, daher weiß ich aus erster Hand, wie undurchlässig es hier für Arbeiterkinder ist, einen Studienplatz zu bekommen.

     

    Fazit aus dieser ganzen Misere ist, dass ich es nicht schaffe meine jüngste Tochter dazu zu bekommen, sie für die Schule ins Zeug zu legen, da sie gelernt hat, dass es nicht hilft gute Leistung zu bringen, denn spätestens bei der Studienplatzvergabe ist wieder Schluss mit Lustig, wie sie es ausdrückt.

     

    Schon in den Schulen, wo die Kinder unterschwellig von den Lehrern gesagt bekommen, dass sie sich besser um eine Lehre bemühen sollten, denn mehr wird nicht drin sein.

    • @urbuerger:

      Wenn ich als Kind täglich in so einem Klima leben müßte, wäre ich auch demotiviert.

      Die Zulassung an deutschen staatlichen Universitäten hat mit dem Einkommen der Eltern nichts zu tun!