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„Chance zur Solidarität“

■ Trotz kommunalem Wahlrecht in der DDR: Ausländische Kandidaten am 6.Mai die Ausnahme / Die taz sprach mit zwei Kandidaten aus Peru und dem Libanon

Was bringt eine Libanesin und einen Peruaner dazu, bei den Wahlen zur Stadtbezirksversammlung im Ostberliner Neubaubezirk Hohenschönhausen als Unabhängige auf der Liste der PDS zu kandidieren? Für Thassein Hage-Ali gab es einen unmittelbaren Anstoß: die Angst vor den zunehmenden Übergriffen gegenüber AusländerInnen. Sie kam 1982 nach Dresden, um dort Informatik zu studieren. „Ich habe oft den Haß in den Augen gesehen“, sagt sie, aber so schlimm wie gegenwärtig sei es nier gewesen. So erklärte sie sich bereit zu kandidieren, als die „Bürgerinitiative ausländische MitbürgerInnen Hohenschönhausen“ ausländische KandidatInnen für den Bezirk Ost-Berlins suchte. Mitglied in dieser BI sind Einzelpersonen und Gruppierungen des linken Spektrums, unter anderem das „Bündnis 90“ und PDS, aber auch der „Bund der Antifaschisten“, bei dem Thaissein Mitglied ist. Thassein Hage-Ali sprach Dr. Juan Alcantaro an. Beide kannten sich zuvor nur vom Sehen, infolge der wachsenden Angst schlossen sich die AusländerInnen enger zusammen, wie Juan sagt. Die beiden kandidieren auf einer Parteienliste. Auf diese Weise vermeiden sie die Prozedur der Unterschriftensammlung, der sich EinzelbewerberInnen unterziehen müssen. Angebote kamen von SPD, Bündnis 90 und der PDS. Thassein, deren Mann als PDS-Mitglied kandidiert, entschied sich für die PDS - als „überzeugte Marxistin“. Juan, weil er bei der SPD jegliche Selbstkritik im Hinblick auf die Politik vor der Veränderung vermißt. Die Bürgerbewegung erscheinen ihm andererseits als zu konzeptionslos. Thaissein ist in unserem Gespräch eher zurückhaltend, betont emotionale Aspekte, läßt Juan reden, widerspricht nicht, nickt des öfteren zustimmend. Juan zieht weite Bögen, argumentiert abstrakt. Juan legt Wert auf die Feststellung, nie organisiert gewesen und auch jetzt unabhängig zu sein. Er habe an der Demonstration vom 4.11. teilgenommen und schon vorher mit denen sympathisiert, die Perestroika auch für die DDR forderten. Er möchte für einen breiten Kosens der Minderheiten arbeiten. Hier sieht er übereinstimmende Interessen bei AusländerInnen und linken Organisationen, gerade auch in der PDS. Seine Kandidatur versteht er als Möglichkeit, in Versammlungen die Öffentlichkeit zu erreichen, gemeinsame Ziele aufzuzeigen, etwa in Fragen der Schulbildung, der Kindergartenplätze, der Begegnungsstätten. Er arbeite bereits jetzt mit Initiativen zusammen, die sich für die Begegnung der Kulturen einsetzen. Auf kommunaler Ebene möchte er für eine Erneuerung der DDR eintreten und auch Impulse geben: Bei der Vereinigungsdebatte dürfen die Interessen hier lebender AusländerInnen nicht übergangen werden. Er sieht ebenso wie Thassein in der Geschichte der DDR eine Chance, die genutzt werden muß: „Die jahrelang verordnete Solidarität birgt die Möglichkeit, zu einer wirklichen Solidarität zu werden.“

Die Frage, ob sie ihre Unabhängigkeit garantiert sehen, beantwortet Juan mit einem entschiedenen Ja. Er verweist auf die Diskussion in seinem Wahlbezirk: Dort wurde die Forderung abgelehnt, die Kandidaten sollten im Sinne der Partei abstimmen. Stattdessen setzte sich die Ansicht durch, Entscheidungen sollten aus eigener Kompetenz getroffen werden.

Die beiden treten in den Wahlkreisen 9 und 14 an. Der Einzug in die Bezirksvertretung ist ihnen damit so gut wie sicher. In beiden Wahlkreisen gibt es kaum AusländerInnen, aber ein sicheres Potential von PDS-WählerInnen. Thassein Hage-Ali und Juan Alcantaro werden Ausnahmen sein - so viel steht schon fest. Rund 258.000 KandidatInnen bewerben sich am 6. Mai um die 120.000 Mandate in der gesamten DDR darunter 81 AusländerInnen. In Berlin kandidieren acht AusländerInnen für die Stadtbezirksversammlungen. So schön es klingt: Das „kommunale Wahlrecht für Ausländer“ - einst vom SED-Regime aus propagandistischen Gründen eingeführt erweist sich als alles andere als selbstverständlich. AusländerInnen werden nur auf eigenen Wunsch in das Wählerverzeichnis eingetragen. Ohne Mobilisierung läuft da nichts - und die meisten der seit Jahren in Hohenschönhauser Wohnblocks konzentrierten AusländerInnen, überwiegend VietnamesInnen und MozambiquanerInnen, dürften nicht zu erreichen sein. Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, und den beiden KandidatInnen aus dem Libanon und Peru gibt es genug: Die alltägliche Diskriminierung, die Unsicherheit, wie die Zukunft wird.

Ebenso groß sind auch die Unterschiede: Thassein Hage-Ali und Juan Alcantaro sind beide mit DDR-BürgerInnen verheiratet. Sie haben in der DDR eine Heimat gefunden und sich entschlossen, mit ihren Kindern hier zu bleiben. Die VietnamesInnen und MocambiquanerInnen, die in der DDR noch die größte Ausländergruppe stellen, sind dagegen abgeschottet vom Kontakt zu Deutschen. Politische Betätigung war in der Vergangenheit oftmals mit Repressalien durch die jeweilige Botschaft verbunden. Dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, ist den Parteien im Kommunalwahlkampf nur geringes Engagement wert: Für die Stadtverordnetenversammlung, das wichtigste zu wählende Gremium, (Gesamtvertretung für Ost-Berlin) wurden von keiner Partei AusländerInnen nominiert.

BL/MT

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