Chamisso-preis: Integration eingestellt
Der Chamisso-Preis soll eingestellt werden, und das ist ein großes Problem. Der Preis, der laut der Bosch-Stiftung, die ihn finanziert, „herausragende auf Deutsch schreibende Autoren, deren Werk von einem Kulturwechsel geprägt ist“, auszeichnet, wird seit 1985 vergeben. Der erste Preisträger war Aras Ören, ein auf Türkisch schreibender Deutscher, dessen übersetzte Werke vor allem deutsche Verhältnisse reflektierten. Später wurde der Preis an das Schreiben auf Deutsch gekoppelt, eine aus dem Iran stammende Autorin würde also explizit nur für ihr „deutsches“ Werk gewürdigt, verfasste sie zugleich etwa noch Lyrik in persischer Sprache, wäre die nicht preisverdächtig.
Das hier schon anklingende merkwürdige Verständnis vom literarischen Arbeiten von Migranten wird in der Begründung für die Einstellung des Preises, die früheren Preisträgern nun mitgeteilt wurde, vollends pervertiert. Der Preis habe, so die Stiftung, „seine ursprüngliche Zielsetzung vollständig erfüllt: Autoren mit Migrationsgeschichte haben heute grundsätzlich die Möglichkeit, jeden in Deutschland existierenden Literaturpreis zu gewinnen“. Das legt nahe, dass die 75 bisherigen Preisträger verhätschelt werden mussten, da ihr Werk bislang nicht preiswürdig genug war, was eine Beleidigung ist. Und es unterstellt, dass Migranten nun vollständig in die deutsche Literatur „integriert“ seien.
Nun konnte sich aber ein auf Deutsch schreibender Autor stets auf jeden „in Deutschland existierenden Literaturpreis“ bewerben, auch Aras Ören hatte schon vor dem Chamisso-P-reis mehrere andere – deutsche – Literaturpreise gewonnen. Der Chamisso-Preis war jedoch gegründet worden, um das literarische Schaffen von Migranten sichtbar zu machen. Nun ist der Preis nachhaltig beschädigt, da er laut Stiftung ein Hätschelpreis für arme Autorenküken gewesen ist. So zeigt sich, dass die Bosch-Stiftung nie verstanden hat, um wessen Integration es eigentlich ging: Es ging immer darum, Deutsch endlich in einer weltoffenen Literatur ankommen zu lassen. Gerade angesichts der jüngsten Wahlergebnisse ist ein solcher Preis nötiger denn je. Jörg Sundermeier
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