Cem Özdemir über NRW-Wahl: "Warum reden alle von Schwarz-Grün?"
Nach dem Willen von Grünenpolitiker Cem Özdemir soll Hannelore Kraft (SPD) bald in Nordrhein-Westfalen regieren. Mit den Grünen. Er selbst will wieder Parteivorsitzender werden.
taz: Herr Özdemir, SPD-Chef Sigmar Gabriel hat die Grünen jüngst zu den neuen Liberalen erklärt. Gefällt Ihnen das?
Cem Özdemir: Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass wir von der FDP das bürgerrechtliche Element geerbt haben. Dieser Flügel hat bei Guido Westerwelle keine Heimat mehr. Und die FDP betrachtet Freiheit inzwischen als vererbbares Privileg, von der liberalen Idee der Aufwärtsmobilität keine Spur mehr. Mir behagt allerdings weniger, dass uns dieses Bild auf eine bestimmte Nische reduzierr. Wir sind viel breiter aufgestellt.
Eine gezielte Gemeinheit von Herrn Gabriel, der linke SPD-Anhänger vor den Grünen warnen will?
Das glaube ich nicht. Es gibt aber den Versuch, die Grünen als bloßes Anhängsel zur SPD darzustellen. Das machen wir nicht mit. Im Gegenteil haben wir dazu beigetragen, dass sich die SPD verändert hat. Denken Sie nur an die Atomfrage.
Welches Etikett ist Ihnen lieber - liberal oder bürgerlich?
Ich brauche kein Etikett. Ich bin Grüner, da brauche ich keinen Zusatz. Insofern ist es auch richtig, dass Sigmar Gabriel und wir deutlich gemacht haben: Es geht nicht um eine Neuauflage eines Projekts oder um ein Remake der Achtundneunziger. Es geht um eine konkrete Wahl am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen und um den Einstieg in den Ausstieg aus Schwarz-Gelb auch im Bund. Da gibt es eine Chance für ein Bündnis von SPD und Grünen, das viele lange für völlig aussichtslos erklärt haben.
45, ist seit November 2008 Ko-Bundesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen. Von 2004 bis 2009 war er Abgeordneter im EU-Parlament.
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Warum sollte das besser funktionieren als einst im Dauerzwist zwischen Bärbel Höhn und Wolfgang Clement?
Sylvia Löhrmann und Hannelore Kraft sind zwei Frauen, die wissen, wo sie gemeinsam hinwollen. Es gibt wichtige Gemeinsamkeiten, in der Bildungspolitik zum Beispiel, der Sozialpolitik oder bei den Bürgerrechten. Aber wir reden uns die SPD nicht schön. Sie ist keine Klimaschutzpartei. Dafür müsste sie den Mut haben, Konflikte auszutragen - mit der Autobranche, mit der Landwirtschaft oder den Energiekonzernen. Wir müssen allen klar machen, die einen Politikwechsel mit Rot-Grün wollen: Der beste Weg, ihn zu verhindern, ist der Einzug der Linkspartei ins Düsseldorfer Parlament. Denn das würde vor allem einem helfen: Jürgen Rüttgers.
Wahrscheinlich mit den Grünen.
Eher in der Großen Koalition. Aber wir wollen Rot-Grün in NRW. Alles andere sind Zweitoptionen. Die müssen wir dann prüfen, wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte.
Sie fahren also die Saarland-Strategie: Erst holen Sie die Zweitstimmen von der SPD, dann gehen Sie damit zur CDU?
Mich wundert immer, dass man uns Schwarz-Grün unterstellt - aber niemand die SPD nach der großen Koalition fragt. In Nordrhein-Westfalen steht die SPD der CDU doch viel näher als wir. Auf neue Kohlekraftwerke könnte sich Hannelore Kraft mit Jürgen Rüttgers innerhalb weniger Minuten einigen. Wir haben dagegen einen klaren Kompass. Uns gibt es nur mit einer anderen Bildungs- und Klimapolitik.
Zählt zu Ihren Zweitoptionen auch Rot-Rot-Grün?
Die Grünen in Nordrhein-Westfalen werden auch ein Bündnis mit der Linkspartei prüfen, wenn es für Rot-Grün nicht reichen sollte. Das ist aber nur dann eine Option, wenn die Linke bereit ist, durch Minister und einen Koalitionsvertrag Regierungsverantwortung zu übernehmen. Und sie müsste einen harten Sparkurs mitmachen. Als gelernter Sozialpädagoge und Erzieher gebe ich da grundsätzlich jedem eine Lernchance. Man soll niemanden aufgeben.
Sie gelten als Befürworter schwarz-grüner Bündnisse ...
Ich weiß gar nicht, woher das kommt. Richtig ist, ich gelte als Vertreter Grüner Eigenständigkeit.
... böte Schwarz-Grün in NRW den Grünen die willkommene Möglichkeit, auch im Bund mitzuregieren?
Zuerst mal: Am besten wäre es, wenn Rot-Grün regierte. Aber so oder so wird sich einiges ändern, wenn Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundesrat verliert. Die FDP kann sich schon mal überlegen, was ihr für die restlichen drei Regierungsjahre noch bleibt, wenn ihre völlig irrealen Steuersenkungen vom Tisch sind.
Und was bleibt Ihnen zu tun, wenn Sie im Herbst die ersten zwei Jahre als Parteivorsitzender hinter sich haben?
Ich möchte bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Freiburg wieder kandidieren, gemeinsam mit Claudia Roth. Wir arbeiten sehr gut zusammen. Es war ja nicht immer so bei den Grünen, dass die Doppelspitze gut funktioniert hat. Wir vertrauen uns blind und sorgen für einen Ausgleich über die Flügelgrenzen hinweg.
Können Sie verstehen, dass darüber auf der Parteilinken nicht jeder glücklich ist - gerade mit Blick auf Frau Roth, die diesen Flügel doch vertreten soll?
Erstens hat Claudia Roth sich ein sehr hohes Ansehen in der Partei erarbeitet. Zweitens sind wir vor allem Sprecher der ganzen Partei. Und drittens sind auch bestimmt nicht alle Realos glücklich mit mir. Das gehört dazu. Im Übrigen spielen diese Richtungsfragen nicht mehr eine solche Rolle wie früher. Gerade unsere jüngeren Leute sind damit gar nicht mehr sozialisiert, sie entscheiden anhand von Themen.
Cem Özdemir führt die Grünen in Richtung Schwarz-Grün, und Claudia Roth hält die Partei bei der Stange?
Diese Zuschreibungen stimmen doch längst nicht mehr. Ich habe unsere gemeinsame Pressekonferenz mit SPD-Chef Sigmar Gabriel organisiert. Und sie würden sich wundern, in welchen Kreisen Claudia Roth überall Fans hat – von Theo Zwanziger bis Günter Beckstein.
Über Strategien spricht man mit Cem Özdemir, für das Menschliche ist Claudia Roth zuständig?
Der Mann als Feldherr und die Frau bei der Familie. Interessant, dass selbst die taz das glaubt. Darauf sind schon manche hereingefallen. Die Ausrichtung der Parteiwird selbstverständlich gemeinsam vorbereitet und in den zuständigen Gremien besprochen. Da mag es intern auch mal Diskussionen geben, aber wir betreiben nach außen keine Nabelschau.
Was erwarten Sie vom grünen Länderrat am Sonntag?
Es passt gut, dass wir in Köln zeitgleich mit der FDP tagen und die Unterschiede gegenüberstellen. Die FDP will die Steuern senken, wir wollen die Kommunen und das Gemeinwesen stärken. Schwarz-Gelb will die Atomlaufzeiten auf 60 Jahre verlängern, wir wollen am Ausstieg festhalten. Die Regierung zieht sich bei der Griechenland-Krise auf ein nationalstaatliches Interesse zurück, wir sind überzeugte Europäer.
Sehen Sie sich auch persönlich als das Gegenmodell zu Guido Westerwelle?
Der Gegenpart zu fundamentalistischen FDP ist doch längst die Linkspartei. Die einen wollen die öffentliche Hand zugrunde richten, bei den anderen soll der Staat alles richten. Beides entspricht nicht unserem Menschenbild.
Wer vor 30 Jahren FDP-Anhänger war, würde heute Cem Özdemir wählen?
Wir sind ja gerade auf dem umgekehrten Weg - auch wenn Sigmar Gabriel Komplimente verteilt, die bei näherer Betrachtung eher ein Gitter sind. Wir verbreitern uns thematisch. Da sind wir der Gegenentwurf zum monothematischen FDP-Modell. Wir wollen nicht auf eine Nische reduziert werden, wir sind mit unserem Green New Deal auch schon lange kein Gegenmodell zu Wachstum und Industriegesellschaft mehr.
Aber Sie können schon verstehen, dass sich manch ein Konservativer nach Ihnen sehnt als einem besseren Westerwelle?
Wir sind nicht Westerwelle. Verstehen kann ich die Empörung in der Wirtschaft. Was ihnen die FDP mit einem Minister Brüderle vorsetzt, ist eine Missachtung von Leuten, die ordnungspolitische Vorstellungen in Richtung Zukunft erwarten. Auch die Unternehmer wissen, dass gute Bildungspolitik, internationaler Klimaschutz und solide Haushaltspolitik wichtiger sind als Steuersenkungen. Da ist die deutsche Industrie erheblich weiter als die Partei, die vorgibt, Wirtschaftsinteressen zu vertreten.
Wollen Sie denn 2013 wieder in den Bundestag?
Als ich beim letzten Mal in Stuttgart auf 29,9 Prozent der Erststimmen kam, hat die SPD-Bewerberin mit ihren 18 Prozent gesagt: Den Özdemir werdet ihr hier in Stuttgart nicht wiedersehen. Da will ich sie Lügen strafen.
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