Castor-Protest: Suppe für die Aktivisten
Hinter den Protesten in Gorleben steht eine Infrastruktur des Widerstands. In mobilen Zeltbüros werden Landkarten verteilt, Volksküchen kochen rund um die Uhr. Ein Besuch hinter den Kulissen.
Die Meldungen drängen, doch die Journalisten vor Ort sind machtlos. Nur ein einziges Internetkabel haben die Atomkraftgegner auf einem Acker östlich von Dannenberg in ihren Pressewagen gelegt. Nach Dannenberg sind am Samstag 50.000 Menschen zur Anti-Castor-Demo gekommen, mehr als je zuvor im Wendland. Doch die Region ist tiefe Provinz, die Funk-Modems der Reporter funktionieren nicht, und so müssen sie sich in einer Reihe anstellen, um ihre Bilder und Nachrichten aus dem kleinen Holzbauwagen in die Welt hinaus zu schicken.
Alle zwei Jahre, wenn der Atommüll anrollt, kommen Tausende Castor-Gegner ins Wendland. Sie müssen verpflegt, beherbergt, informiert, verarztet, aus dem Gefängnis geholt oder von einem Blockade-Ort zum nächsten geschafft werden. Die Anti-Atom-Initiativen haben darin eine bemerkenswerte Routine entwickelt: Bauern stellen ihre Scheunen und Äcker für Camps bereit, im Radio läuft der Sender "Freies Wendland", der aktuell verkündet, wo noch Mitblockierer gebraucht werden. Einheimische mit Ordnerwesten stehen an den wichtigen Straßenkreuzungen und informieren über Schlupflöcher, um die vielen Polizeisperren zu umgehen. Am Samstag fahren den ganzen Tag lang Bus-Shuttles der BI Lüchow-Dannenberg zwischen den Camps und dem Kundgebungsort in Dannenberg hin und her.
Das temporäre Provisorium funktioniert erstaunlich gut, und neben vielen anderen hat daran auch Peter von Rüden seinen Anteil. Am Montagmorgen sitzt der Mittdreißiger in einem großen weißen Zelt auf einer Wiese mitten in Dannenberg, vor sich einen Computer. Auf dem Kopf trägt er ein Headset. Die Nachdrucke von Landkarten der Region sind gerade ausgegangen. "Schick neue", ruft von Rüden in seine Skype-Leitung. In der bevorstehenden heißen Phase des Straßentransports sollen sie weiter an die Castor-Gegner verteilt werden. Das Zelt ist einer der vielen Info-Punkte, an dem sich die oft von weit her angereisten Demonstranten auf den neusten Stand bringen können. Von acht Uhr morgens bis nachts um zwei hat von Rüden hier am Sonntag gesessen, mindestens fünf Tage wird er hier am Ende verbracht haben.
Neben von Rüden hat die Sitzblockaden-Kampagne "X-tausendmal-quer" im Wendland zehn weitere Mitarbeiter, die solche Infopunkte betreiben. Alle Anrufe werden in eine Telefonzentrale nach Verden umgeleitet, wo acht weitere KollegInnen Auskünfte erteilen. Eine "Aktionsunterstützungsgruppe" versorgt die rund 1.000 Blockierer, die seit Tagen vor den Toren des Zwischenlagers in Gorleben auf der Straße sitzen, mit Essen, sauberen Toiletten und Informationen. Eine Pressegruppe kümmert sich um Medienanfragen. Zwei Monate vor und zwei Monate nach den Transporten mietet "X-tausendmal-quer" in Dannenberg ein temporäres Büro, sonst wird im Hamburger Büro gearbeitet. Alles finanziert sich aus Spenden.
Neben "X-tausendmal-quer" mischen viele weitere Organisationen bei den Protesten mit. Sie sind hierarchiearm, netzwerkförmig, unkommerziell - für von Rüden ist die Art, wie sich der Castor-Widerstand organisiert, selbst schon ein politischer Akt. "Selbstorganisation ist ein wichtiger gesellschaftlicher Faktor. Man darf nicht alles den NGOs überlassen", sagt er.
Das findet auch Hossa. Seinen richtigen Namen will der junge Mann nicht sagen, man möchte ein wenig undurchschaubar bleiben, wegen der Polizei, die schon öfter Volksküchen lahm gelegt hat, um die Moral der Demonstranten zu untergraben. Seit einigen Jahren reist er mit etwa zehn Freunden und einer mobilen Großküche auf politische Großereignisse wie den Castor-Transport. Seit Donnerstag sind sie auf dem Camp in der Ortschaft Metzingen und kochen dort für fast 1.000 Menschen - oft rund um die Uhr. Mengen werden nicht kalkuliert: "Wir kochen los und sehen zu, dass wieder neues Essen fertig ist, bevor die Töpfe leer sind."
Sechs solcher Volksküchen gibt es in diesen Tagen im Wendland. Zu den Blockaden schicken sie Suppe, Tee und Brote mit veganer Leberwurst, in den Camps gibt es Eintopf oder vegetarisches Gulasch. Sie alle kochen überwiegend aus Lebensmittelspenden, die zentral gesammelt werden. Was fehlt, wird eingekauft, dafür werden die Esser um Geldspenden gebeten. "Jeder so, wie er eben kann, Festpreise betrachten wir als Verbrechen." Wenn die Spenden nicht reichen, dann werde dies den Campbewohnern mitgeteilt. "Die Spenden dann eben etwas mehr", sagt Hossa, "und bisher", so versichert er, "hat das immer funktioniert."
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