■ Cash & Crash: Wo, bitte, bleibt der Boom?
Helmut Schlesinger und Hans Tietmeyer sind die häßlichsten aller Deutschen – meinen angelsächsische Wirtschaftsexperten. Wenn sich der Bundesbankpräsident und sein designierter Nachfolger nicht so vehement gegen sinkende Zinsen sperren würden, dann, ja dann käme die lahme Weltkonjunktur endlich in die Gänge; mindestens in der Europäischen Gemeinschaft würden die Wirtschaften und der Wohlstand wieder wachsen.
Die Bundesbanker haben die Kritik der Briten und US-Amerikaner bislang ziemlich locker weggesteckt; auch gestern senkten sie erneut nicht den Zinssatz für Wertpapierpensionsgeschäfte, der inzwischen als wichtigster Leitzins gilt. Als zu groß schätzen sie die Inflationsgefahr ein, die durch die weiter zunehmende Staatsverschuldung stetig steigt.
Unterdessen geht den Kritikern, erinnert man sie an die Situation in ihren eigenen Ländern, immer mehr ihr wichtigstes Argument aus dem Lehrbuch der Volkswirtschaft aus. Das lautet: Sinkende Zinsen verbilligen Kredite. Billige Kredite motivieren Unternehmer dazu, sich Geld zum Investieren zu leihen. Dann wird wieder mehr produziert, mehr gearbeitet und mehr konsumiert – die Wirtschaft wächst.
Demnach müßten die USA nun aber endlich boomen: Die Zinsen sind niedrig wie nie, und das nicht erst seit gestern. Doch so sehr die Statistiker auch suchen, sie finden kein Wachstum – und das, obwohl die Mehrheit der Unternehmer an den nahe bevorstehenden Aufschwung glaubt. Und der Glaube ans Wachstum ist bekanntlich schon die halbe Konjunktur. Dieser Glaube nährt hierzulande schon seit Monaten die Prognosen, daß der Dollar bald auf mindestens 1,80 Mark klettern wird – allein, er tut es wegen des ausbleibenden Aufschwungs nicht.
Die EG-Nachbarländer, seit einem Monat nun vom Europäischen Währungssystem und damit der engen Bindung an den D-Mark-Anker befreit, könnten schon längst ihre Zinsen gesenkt haben. Aber – sie tun es nicht. Aus purer Gewohnheit, den Bundesbankern zu folgen, unterstellt das Handelsblatt den Regierungen Frankreichs, Belgiens, Spaniens und Dänemarks. Dabei könnte gerade Frankreich gelassen die Zinsen senken, denn das Ziel der Hochzinspolitik, die Inflation zu bekämpfen, sei doch längst erreicht. Ist Frankreichs konservative Regierung etwa angesichts des US-Beispiels vom Glauben abgefallen?
Die US-Wirtschaft nämlich befindet sich nicht so sehr im Konjunkturtal, als vielmehr in einer Strukturkrise. Ihr fehlt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion der Feind, zu dessen Vernichtung das Pentagon immer neue, immer teurere Aufträge an die Computer-, Flugzeug- und Autoindustrie vergab. Deshalb müssen nun diese großen Schlüsselbranchen das Gegenteil von investieren tun – nämlich schrumpfen. Egal wie niedrig die Zinsen sind. Donata Riedel
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