■ Cash & Crash: Clinton-Unwetter über Tokio
Tokio (taz) – Alle Börsenmeteorologen hatten das Unwetter seit dem Wochenende vorausgesagt. Doch als sich die von Amerika heranziehenden Wolkenmassen schließlich gestern über Tokio entluden und der Yen in den Himmel stieg, während die Börse in der Keller fiel, da packte selbst die stolzesten japanischen Unternehmer die Angst. „Die Ereignisse werden der japanischen Wirtschaft schweren Schaden zufügen“, stöhnte der Vizepräsident von Mitsubishi Motors. Ein Aktienhändler kommentierte: „So ergeht es Japan, wenn Amerika uns böse ist.“
Über 1.000 Punkte, mehr als fünf Prozent, hatte der Tokioter Aktienindex innerhalb von zwei Tagen nach dem Scheitern der japanisch-amerikanischen Handelsgespräche verloren. Gleichzeitig stieg der Yen gegenüber dem Dollar um 6,23 Yen. Schon beim gestrigen Stand von 102,02 Yen für einen US-Dollar sind nach Angaben japanischer Banken weniger als zehn Prozent aller japanischen Exportfirmen im Ausland noch konkurrenzfähig. Eben diese Aussicht treibt die Investoren dazu, ihre japanischen Aktien schleunigst abzusetzen. „Wir haben das Risiko eines weiteren Yen-Anstiegs in unsere Bilanzvorschau bereits einkalkuliert“, versicherte ein Sprecher der Elektronik-Firma Toshiba. Doch genau das wollte die Börse den Unternehmen nicht glauben.
In Tokio zeigten gestern alle Finger nach Washington, wo die Vorsitzende des Nationalen Wirtschaftsrats, Laura Tyson, auch noch die Frechheit besaß, den Yen-Anstieg als „angemessen“ zu bezeichnen. Direkte Handelssanktionen der USA gegen Japan waren in Washington noch für den Dienstag angekündigt worden. „Solange Japan und die USA keinen Kompromiß finden, wird der Yen stark bleiben“, verzweifelte ein Mitarbeiter der Daiichi Kangyo Bank. Alle Beobachter wissen, daß sich damit die ohnehin schwachen Konjunkturaussichten für Japan noch weiter verschlechtern. Schon glaubt niemand mehr an den Segen des erst vor wenigen Tagen verkündeten Konjunkturprogramms der japanischen Regierung.
Nicht einmal von der immer größeren Lücke zwischen den steigenden Zinsen in den USA und den Niedrigstzinsen in Japan versprechen sich die japanischen Firmen noch Entlastung. Nach Marktgesetzen müßte die Zinslage eigentlich den Dollar stärken statt schwächen. Doch Bill Clinton kehrt dies Gesetz durch die Androhung von Handelssanktionen um. Kein Wunder, daß die Japaner gestern an die Beständigkeit der pazifischen Unwetter glaubten wie an den Sonnenaufgang in der Wüste. Georg Blume
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