Caritas-Präsidentin über Energiekrise: „Niemand soll im Regen stehen“
Eva Maria Welskop-Deffaa sitzt als einzige Vertreterin der Wohlfahrtspflege in der Gaspreisdeckel-Kommission. Die soll nun ein Konzept vorlegen.
taz am wochenende: Frau Welskop-Deffaa, Sie sitzen als Präsidentin der Caritas in der Expertenkommission Gas und Wärme, die nach diesem Wochenende einen Vorschlag zum Gaspreisdeckel vorlegen soll. Ganz schön sportlich oder?
Eva Maria Welskop-Deffaa: Erst einmal bin ich froh, dass die Bundesregierung jetzt mit so einem klaren Signal kommt: 200 Milliarden – da hat man auch als einfacher Bürger das Gefühl, damit kann etwas getan werden. Eigentlich sollten wir mit der Kommission bis Ende Oktober einen Vorschlag ausarbeiten. Nun muss es deutlich schneller gehen, aber der Druck ist auch enorm hoch.
Der gesellschaftliche Druck?
Die Präsidentin
Eva Maria Welskop-Deffaa, 63, ist Volkswirtin und Präsidentin des Deutschen Caritasverbands. Sie ist Teil der ExpertInnenkommission, die die Bundesregierung zum Gaspreisdeckel berät.
Davor hat sie Angst
„Wenn ich heute über schrecklich sinnlose Kriege und menschenverachtende Gewalt lese, dann fühlt sich das an wie früher das Laufen durch die dunkle Unterführung.“
Das gibt ihr Hoffnung
Menschen wie Tsitsi Dangarembga, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, die sich Unrechtsregimen entgegensetzen und für Menschenrechte kämpfen.
In dieser Energiekrise und Kriegssituation brauchen wir Solidarität. Wenn ich mit Kolleginnen und Kollegen spreche, dann höre ich, dass diese Solidarität in Gefahr ist. Ich war vor Kurzem in Dresden und habe gehört, wie stark die Ablehnung der Sanktionspolitik gegen Putin dort ist. Weil die Leute sagen, wir müssen unsere Gasrechnung bezahlen können. Angst vor steigenden Energiepreisen kann Menschen veranlassen, die politische Grundlinie der Bundesregierung zu verlassen und empfänglich zu werden für radikale Parteien.
Was ist Ihre Rolle als Wohlfahrtsverband in dieser Situation?
Wir haben eine hohe Verantwortung, einerseits die realen Gefahren zu benennen und zu sagen: Leute, da braucht es jetzt schnelle Lösungen. Aber auch unsererseits nicht dazu beizutragen, die Situation noch weiter zu dramatisieren, weil das ja tatsächlich politisch sehr schnell ausgenutzt wird.
Wie kann diese schnelle Lösung für den Gaspreisdeckel jetzt aussehen?
Ich kann natürlich dem Ergebnis der Kommission nicht vorweggreifen. Aber ich kann sagen, dass es im Detail ganz schön schwierig ist, eine solidarische Lösung für einen Gaspreisdeckel zu finden. Da sind erst einmal die naheliegenden Fragen: Für welchen Teil des Verbrauchs wird der Preis subventioniert, also künstlich niedrig gehalten? Wie hoch wird dieser Preis sein? Für wie lange? Auch deswegen hat man die Expertenkommission eingerichtet, damit man sich nicht zu sehr verschätzt. Es erzeugt politische und gesellschaftliche Verwerfungen, wenn da gleich wieder nachgesteuert werden müsste.
Die Frage ist auch, für wen genau der Gaspreisdeckel gilt.
Sehr richtig. Die Formulierung ist im Moment, dass die Belastungen für Haushalte und Unternehmen abgefedert werden sollen. Aber was ist mit Menschen, die nicht in Haushalten, sondern in Einrichtungen leben? Es ist jetzt eine Summe von 200 Milliarden Euro im Raum, die verteilt wird. Da darf am Ende niemand im Regen stehen. Erst recht nicht die Menschen, die in Einrichtungen der Altenhilfe, der Eingliederungshilfe oder der Kinder- und Jugendhilfe leben.
Müsste man die sozialen Einrichtungen nicht ohnehin gesondert betrachten und finanzieren?
Alles, was zusätzliche Bürokratie schafft, führt dazu, dass die Auszahlung sich verzögert, dass der Aufbau der bürokratischen Strukturen zu lange dauert und zu viel Geld verschlingt. Deshalb bin ich dafür, möglichst geübte Strukturen zu verwenden. Ein Problem ist, dass einige schnell umsetzbare Vorschläge zur Entlastung von Unternehmen an deren Größe anknüpfen. In der Wohlfahrtspflege werden die Kriterien dafür ganz schnell überschritten. Ein Träger kann fünf Kitas und ein Krankenhaus haben – klar sind das mehr als 200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Solange nicht geklärt ist, dass die Kriterien hier großzügig ausgelegt werden, bleibt die Nervosität in den Einrichtungen groß.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sie sind die einzige Vertreterin eines Sozialverbandes in der Kommission. Wie groß sind die Chancen, Ihre Belange neben Wirtschaft und Wissenschaft überhaupt durchzusetzen?
Der Mieterbund und die Gewerkschaften sind in der Kommission auch an Bord und verschiedene Wissenschaftlerinnen sehe ich durchaus als Anwältinnen sozialer Belange. Die eigentliche Herausforderung besteht in der engen Frist und der gleichzeitig hohen Komplexität. Energiepolitik muss als europäische Politik gedacht werden. Wir werden für die Rentnerin in Deutschland keine Versorgungssicherheit zu fairen Bedingungen gewährleisten können, wenn wir nicht auch den ungelernten Arbeiter in Polen im Blick haben.
Ihr Kollege von der Diakonie sprach von Hilferufen, die ihn täglich aus den Einrichtungen erreichen. Geht es Ihnen auch so?
Ich bin im Moment viel unterwegs, wir haben gerade sehr viele Jubiläen bei der Caritas. Sobald die Festtagsreden vorbei sind, drehen sich 80 Prozent der Gespräche um die Energiepreise. Es gibt da meiner Ansicht nach keine grundsätzliche Befürchtung, dass der Staat die erhöhten Kosten der sozialen Dienstleistungen am Ende nicht abfedern wird. Die große Angst ist, dass die Preise schneller fällig werden, als die Verträge mit den Kostenträgern angepasst werden können – und dass so die Einrichtungen in existentielle Liquiditätsnöte kommen.
Weil die Finanzierung von sozialen Einrichtungen so kompliziert ist?
Das kann man so sagen. Es gibt je nach Einrichtung unterschiedliche Kostenträger – die Kommune, die Kranken- und Rentenversicherung, die Länder, der Bund, das Sozialamt, das Jugendamt … Nun sind nahezu alle Preise höher als ursprünglich erwartet und ausgehandelt. Inflation und Energiekrise betreffen ja nicht nur die Einrichtungen selbst, sondern auch alle Zulieferer. Es gibt zum Beispiel kaum noch Wohneinrichtungen, die selber waschen. Und wenn die Wäscherei mit ihren hohen Energiekosten nicht ausreichend entlastet wird, dann geht sie in die Insolvenz. Das ist jetzt anekdotisch, aber ich kenne Einrichtungsleiter, die sagen: Gut, dass ich die alte Waschmaschine noch im Keller habe.
Im Ernstfall kann bei der Caritas doch die Kirche zuschießen, oder nicht?
Durchaus stecken in vielen sozialen Einrichtungen kirchliche Mittel. Angesichts der rückläufigen Mitgliedszahlen werden die Kirchen aber prüfen, ob und wo sie auch bei den Caritas-Einrichtungen sparen müssen. Ich freue mich jedenfalls, dass die zusätzlichen Einnahmen der Kirchen aus der Besteuerung der Energiepauschale ausschließlich sozialen Zwecken zugutekommen werden. Da geht es um einen zweistelligen Millionenbetrag.
Wir müssen auch über das Sparen sprechen. Wenn alle 20 Prozent Heizkosten einsparen müssen, weil es sonst schlicht nicht reicht, dann gilt das ja auch für die Einrichtungen …
Wenn es ein besonders kalter Winter wird, ist die Diskrepanz zwischen geübtem und Sparverbrauch vielleicht noch viel größer. In einer Altenhilfeeinrichtung kann man den Begegnungsraum aber nicht einfach auf 16 Grad runterkühlen. Nicht bei älteren Menschen, die ohnehin schneller frieren. Das klingt banal, aber das ist es nicht. Es ist eine Frage der Solidarität, wer wie viel einsparen kann.
Es ist auch eine Frage von Wissen.
Das stimmt. Wir bieten schon seit 15 Jahren in immer mehr Städten den „Stromspar-Check“ an. Das ist eine Peer-to-Peer-Beratung, bei der Langzeiterwerbslose geschult werden zu Energieberatern und in die Haushalte von Menschen in prekären Einkommenssituationen kommen. Das hat wirklich dramatisch gute Effekte. In den Einrichtungen ist es komplexer, da wurde uns jetzt ein Projekt genehmigt, mit dem wir für einzelne Standorte eine systematische Begleitung auf dem Weg hin zur Klimaneutralität anbieten können.
Das klingt nicht nach schnellen Einsparungen. Was passiert, wenn die Energie wirklich knapp wird?
Dann wäre es vielleicht sinnvoller, man würde gezielt einige produzierende Unternehmen für den Winter vom Netz nehmen. Das hat Minister Habeck schon vorgeschlagen und dafür viel Prügel bekommen. Ich meine zu Unrecht.
Bereiten sich Ihre Einrichtungen auf den Ernstfall vor? Dass Heizungen tatsächlich ausfallen könnten?
Unsere Leute vor Ort, das sind schon krisenfeste Anpacker, die, ich hab es schon erwähnt, im Zweifel noch die alte Waschmaschine im Keller haben. Und wenn Sie bei den Maltesern durch die Hallen gehen, da merken Sie, da ist ein breites Wissen da, wie man sich für Krisen ausrüstet. Aber insgesamt sind wir in Deutschland nicht gut vorbereitet für Versorgungskrisen.
Können wir uns da von der Katastrophenhilfe in anderen Regionen der Welt etwas abschauen?
Wir wissen aus Katastrophengebieten, wie wichtig es ist, dass auch bei strenger Rationierung die Menschen noch einen Spielraum haben, indem sie zum Beispiel zugeteilte Lebensmittel tauschen können, weil der eine lieber Reis und der andere lieber Nudeln mag.
Inwiefern lässt sich das auf die Gasrationierung in Deutschland übertragen?
Es wäre zum Beispiel denkbar, dass Menschen, die den subventionierten Grundbedarf nicht verbrauchen, diesen spenden können oder einen Bonus dafür kriegen. Das wäre ein zusätzlicher Anreiz zu sparen und man behält das Gefühl, selbst noch gestalten zu können. Dann fühlt sich Rationierung weniger schlimm an und das ist wichtig für die Akzeptanz.
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