CannesCannes: Unausgewogenes Spiel
■ Perverse Väter, die dritte Lieferung: Roberto Begninis Auschwitz-Komödie „La vita e bella“
Was die Franzosen von den Deutschen wollen, sind bekanntlich nicht unsere Filme. Sie wollen die Kohle. Das zeigt sich beim deutsch-französischen Fernsehsender arte, der bei nicht weniger als sieben Wettbewerbsfilmen, bei vier Filmen der Reihe „Un certain regard“ und drei Beiträgen der Quinzaine als Koproduzent in Erscheinung tritt. Vor allem dank des WDR und des ZDF kann sich arte als Finanzier gebärden.
Überhaupt sind die Filme des Wettbewerbs, wenn sie keine französischen Produktionen sind, wenigstens französische Koproduktionen. Außer in Hollywood, so scheint es, kein Film ohne Frankreich. Und wenn die Cahiers du cinéma anläßlich von „Las Vegas“ und „Happiness“ von der Arroganz sprechen, mit der das Schicksal der amerikanischen Mittelklasse selbstverständlich als der Geschichten wert vorausgesetzt wird: Frankreich glaubt sich nicht weniger blasiert im Zentrum des Interesses. Haben wir etwas von Kulturimperialismus gesagt?
Der bislang seltsamste Film kommt freilich aus Italien, Roberto Begninis Komödie „La vita e bella“. Es ist die Geschichte, wie sich der „jüdisch versippte“ Guido 1939 in Arezzo verliebt, Dora gewinnt und mit ihr eine Familie gründet, die gegen Kriegsende in ein Konzentrationslager deportiert wird. Dort schafft es Guido, seinem kleinen Sohn Giosué die Wahrheit des Lagers vorzuenthalten, indem er sie ihm zum Spiel erklärt.
Natürlich gehen die Referenzen an Chaplins „Der große Diktator“ und Lubitschs „Sein oder Nichtsein“, doch Begninis Spiel ist zu unausgewogen, um auch nur in die Nähe von Chaplin zu kommen. Und hinsichtlich Lubitsch stellt sich die Frage, ob der Zweck der politischen Propaganda, den militärischen Gegner und politischen Feind als Idioten lächerlich zu machen, tatsächlich durch ein sentimentales Märchen der Vaterliebe ersetzt werden kann. Offenbar ist Vater zu sein ein solcher Alptraum, daß es wenigstens ein Setting wie ein Konzentrationslager sein muß, um zu zeigen, was ein richtiger Vater taugt. Oder wie kommt man sonst auf eine solche Idee? Doch Begninis Film ist in Italien außerordentlich erfolgreich. Er brachte ihm seine erste Nominierung nach Cannes ein, und Miramax kaufte ihn für 7 Millionen Dollar für den internationalen Markt. Es ist die restlose Entpolitisierung aller Geschichte und Geschichten, die sich verkauft. Das wird in Cannes bislang schockierend deutlich.
Wer überzeugt, sind am Ende die Schauspieler, nicht die Geschichten. Zwei junge Schauspielerinnen, die schon bekannte, großartige Elodie Bouchez (Isa) und die nicht minder grandiose Natascha Regnier (Marie) machen Erick Zonkas ersten Spielfilm „La vie rêvéé des anges“, das Zusammentreffen der offenen, optimistischen Tramperin Isa und der verschlossenen, bitteren Marie, zum erstaunlichen Vergnügen. Zwar meinte ein in diesen Dingen erfahrener Kollege, „La vie“ wäre ihm viel zu sehr Defa- Film, mit seinem „Ein Film aus der Arbeitswelt“-Charakter, doch er ist zugleich das gelungene Paradoxon eines Kumpel-Films unter Frauen.
Einer der großen Vorteile, daß Hollywood in Cannes mit an Bord ist, zeigt sich für die Berichterstatterin darin, daß sie wieder ihre Lieblingszeitung lesen kann. Cannes ist der Los Angeles Times allerdings bislang keine Zeile wert gewesen. Dafür ist die Irritation über die wirtschaftlichen Expansionsgebaren von Bertelsmann und Daimler-Benz ungebrochen.
Den Phantasien, daß Harvard von der Universität Heidelberg AG aufgekauft wurde und US Today von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, möchten wir hinzufügen, daß die Village Voice natürlich schon längst im Besitz der taz ist. Brigitte Werneburg
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