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CannesCannesDer Samurai und die Yacht auf dem Dach

■ Jim Jarmusch hat mit seinem Film „Ghost Dogs“ ein schriftgläubiges Zeugnis abgelegt

„Der Herr Minister ist müde.“ So begann in Le Monde der Artikel über Michael Naumanns Auftritt bei einem Empfang des Clubs europäischer Filmproduzenten. Offenkundig wollte Naumann über alles sprechen, über den Wein oder das Vergnügen zu Fliegen, nur nicht über sein Treffen mit seinen französischen und italienischen Amtskolleginnen Catherine Trautmann und Giovanna Melandri sowie etwaige Fragen zum europäischen Media-Plan.

Der verärgerte Ton von Le Monde hatte freilich seinen tieferen Grund bei der Kirch-Gruppe, die einerseits mit Canal + in Verhandlungen zu kommen sucht und andererseits gerade einen Deal abschloß, der eine Beteiligung an der Produktion von jährlich 25 amerikanischen Kinofilmen vorsieht. Der Artikel in Le Monde endete nicht weniger giftig als er begann.

Der Autor Jean-Michel Frodon nahm auf den Titel von Werner Herzogs Dokumentarfilm über Klaus Kinski Bezug und warnte, es müsse ja nicht so sein, daß die Rolle, die Deutschland in der europäischen Kultur von morgen spiele, unbedingt „mein liebster Feind“ heißen müsse.

Ist es unter solchen Umständen denkbar, daß ein europäisch finanzierter amerikanischer Film wie Jim Jarmuschs „Ghost Dog: The Way of the Samurai“ in Cannes die Goldene Palme davontragen könnte? Und ist es denkbar, daß ein Film, in dem ausgerechnet Tauben eine nicht unwichtige Rolle spielen, ein wunderbarer Film sein kann? Forest Withaker alias Ghost Dog ist Brieftaubenzüchter, Profikiller und selbsterlesener Samurai. Als solcher steht er mit seinem Meister und Auftraggeber, einem Mafioso, der ihm einmal das Leben rettete, in einem unverbrüchlichen Treueverhältnis. Als der Mafiafamilie ein Fehler unterläuft, glaubt sie, ihren Auftragnehmer in Sachen Mord eliminieren zu müssen. Doch „Ghost Dog“ ist eben nicht nur ein Killer, sondern eben auch ein ausgebildeter Krieger. Dem ist die Mafia nicht gewachsen. Doch auch Ghost Dog manövriert sich in eine tödliche Sackgasse, er kann das Treueverhältnis, das Herr und Vasall verbindet, nicht brechen.

Jim Jarmusch erzählt die simple Geschichte linear auf ihr zwangsläufiges Ende zu. Er erzählt sie scheinbar simpel, doch sie erweist sich voll von erstaunlichen Subroutinen, Kleinstgeschichten und verblüffenden Einfällen, die ich hier keinesfalls verraten möchte. Der Film ist voll von wundersamen Charakteren mit merkwürdigen Hobbys – immerhin kann man auf einem Dach nicht nur Tauben züchten, sondern auch eine kleine Segelyacht bauen.

Vor allem ist „Ghost Dog“ aber ein Film über die Kunst des Lesens – wobei die zwischengeschalteten Schrifttafeln mit den Anweisungen des Samurai die Erzählweise des Stummfilms zitieren. Stummgeschaltet sind auch absurd gewalttätige Zeichentrickfilme, denen die Mafiosi in stummer Bewunderung ständig im Fernsehen folgen. Naturgemäß lassen die Samurai-Exzerpte manchmal an die üblichen Rezepte östlicher Lebenshilfe denken, Jarmuschs Film ist eben auch in dieser Hinsicht ein ausgesprochen literarischer, schriftgläubiger Film. Und selbst die immer wieder fliegenden blöden Tauben erscheinen im Sound der absolut hinreißenden Drum-'n'-Bass-Musik von RZA – gesprochen wie Aretha (Franklin) – grandios.

Mit dem dritten französischen Film ist dagegen das absolute Fernsehformat in den Wettbewerb eingezogen. Jacques Maillots Beziehungskiste „Nos vies heureuse“ kann zwar mit sechs durchweg sympathischen Darstellern aufwarten, aber die Strecke von diesem Film zu Deutschlustspielen wie „Der bewegte Mann“ und anderen ist nicht sehr weit. Was Michel Winterbottoms Londoner „Wonderland“ ausmacht, eigentlich großartig macht, versteht man nach diesem Film über das vie parisienne noch einmal besser. Brigitte Werneburg ‚/B‘P.S.: Selbstverständlich zählt Jim Jarmuschs leichthändiges Spiel mit dem Genrekino nicht zu den ausichtsreicheren Kandidaten für das bevorstehende Palmenwesen.

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