Canisius-Kolleg: Hinweise auf Missbrauch schon 1981
Schon 1981 forderten Schüler in einem Brief anderen Umgang mit Sexualpädagogik. Der Ordensführer entschuldigt sich.
Es ist für einen kurzen Moment mucksmäuschenstill, als Stefan Dartmann den Raum betritt. Der Ordensführer der Jesuiten in Deutschland ist an diesem späten Montagnachmittag extra von der Provinzialverwaltung aus München angereist, um sich am jesuitischen Canisius-Gymnasium in Tiergarten der Öffentlichkeit zu stellen. Sein Lächeln wirkt verkrampft. Und er weiß: Nicht nur sein Orden steht unter Druck, sondern die katholische Kirche insgesamt. Die "Opfer tragen belastende Erinnerungen mit sich", sagt Deutschlands oberster Jesuit und bittet "im Namen des Ordens um Entschuldigung für alle Missbräuche, die sie hier am Kolleg erlebt haben".
Klare Worte für einen Missbrauchsskandal, der immer breitere Kreise zieht. Mindestens 20 ehemalige Schüler zählt der Orden allein am Canisius-Kolleg, die sich bei der mit der Aufklärung beauftragten unabhängigen Rechtsanwältin Ursula Raue gemeldet haben. Seit vergangener Woche untersucht die Staatsanwaltschaft Vorwürfe, wonach zwei Lehrer zwischen 1975 bis 1983 zahlreiche Jungen unter angeblich pädagogischen Vorwänden sexuell misshandelt haben.
Schon am Montagmorgen berichtet Raue von ihren schwierigen Gesprächen mit den heute erwachsenen Betroffenen im Deutschlandfunk. "Es ist immer wieder diese Scham, dieses Verletzt-worden-sein, dieses Nicht-darüber-reden-können, nicht reden dürfen." Im Laufe des Tages kommen Bestätigungen, dass sich auch am Sankt-Ansgar-Gymnaisum in Hamburg drei ehemalige Schüler gemeldet haben, an denen sich einer der beiden beschuldigten Jesuiten-Priester früher vergriffen haben soll. Und am späten Nachmittag werden weitere Fälle am Jesuiten-Kolleg St. Blasien im Schwarzwald bestätigt. In all diesen Schulen hatte der Beschuldigte ebenfalls unterrichtet.
Vor der großen Schar von PressevertreterInnen muss Ordensführer Dartmann entsprechend viele Fragen über sich ergehen lassen. Der Pater hatte am Wochenende zugegeben, dass er persönlich bereits 2006 von der Schulleitung über "entsprechende Signale Betroffener" informiert worden war. Warum er es nicht publik gemacht hat? Die Opfer hätten damals um absolute Diskretion gebeten, antwortet er. Wie kann es sein, dass einer der beiden Täter bereits 1991 die Ordensspitze über seine Taten informiert hat und ein Jahr später zwar aus dem Orden ausschied, seine Taten ansonsten aber ungesühnt blieben? Und wieso konnte der besagte Pater, nachdem er unter ebenfalls bisher noch nicht geklärten Umständen das Canisius-Kolleg verlassen hatte, trotzdem an zwei weiteren Jesuitenschulen tätig sein? Dies alles werde Teil der Ermittlungen sein, denen Raue nachgehen und spätestens in zwei Wochen der Ordensspitze mitteilen werde, lautet Dartmanns Antwort.
Schließlich lässt der Pater Kopien von einem Brief verteilen, den 1981 acht Berliner Schüler an die Leitung schrieben. Darin appellierten sie für einen anderen Umgang im "Bereich der Sexualpädagogik". "Aus eigener Erfahrung wissen wir, daß (...) mit Verboten versucht wird, die Sexualität einzelner gezielt zu steuern", heißt es darin. Es wird auch Aufgabe von Anwältin Raue sein zu klären, warum es im Jahr 1981 auf einen solchen Brief keine Antwort gegeben hat.
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