CSU als Trendsetter: Auch SPD will Steuersenkung
Nach der CSU legt die SPD ein Steuerentlastungs-Konzept vor. Experten bestätigen die bayerische Steueridee: Gering- und Mittelverdiener zahlen vergleichsweise zu viel Steuern.
So überflüssig, wie die SPD und CDU in Berlin behaupten, scheint das CSU-Steuerkonzept nicht zu sein. Einen Tag nach der CSU hat die SPD eiligst verkündet: Wir schlagen auch Steuererleichterungen vor. SPD-Chef Kurt Beck sagte, noch im Mai werde seine Partei ein eigenes Papier für Steuerentlastungen vorlegen. Und der SPD-Fraktionsvize Joachim Poß, der die Christsozialen aus Bayern gerade noch für verrückt erklärt hatte, entdeckt nun plötzlich "sozialdemokratische Elemente" im Konzept der CSU. Auch die SPD könne sich eine Abflachung des Steuertarifs oder eine Erhöhung des Grundfreibetrages vorstellen - nur sei dafür kein Geld da.
Die Kehrtwende zeigt: Die beiden großen Koalitionsparteien CDU und SPD stecken in der Bredouille. Einerseits verteidigen sie ihre bisherige Finanzpolitik, die seit 1998 die Deutschen bei der Steuer entlastet habe. Weitere Spielräume gebe es nicht.
Das kann man so sehen. Aber auch die CSU hat Recht. Wegen der guten Wirtschaftsentwicklung steigen die Einnahmen des Staates aus der Lohn- und Einkommensteuer der Beschäftigten. Im Vergleich zu 2005 verbuchen die Finanzämter 2009 etwa 23 Milliarden Euro mehr, rechnet Stefan Bach, Steuerexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Dieses Geld, erklärt CSU-Chef Erwin Huber, sei eine "heimliche Steuererhöhung" - der Staat müsse es den Bürgern zumindest zum Teil zurückgeben. Hubers Argument gewinnt Kraft, indem er die zusätzlichen Einnahmen der nächsten fünf Jahre zusammenrechnet. Schon sind es 100 Milliarden Euro.
Auch DIW-Experte Bach hält diese These für "plausibel". Durch zwei Effekte steigen die Steuereinnahmen. Zum einen arbeiten mehr Menschen, die Erwerbslosigkeit nimmt ab. Das macht etwa zehn der 23 Milliarden Euro aus. Und zweitens verdienen die Beschäftigten mehr Geld. Weil ihr Lohn steigt, rutschen sie automatisch in höhere Steuerklassen. Diese sogenannte kalte Progression summiert sich auf 13 Milliarden Euro im Jahr 2009.
Dass dieser Effekt Leute mit kleinen und mittleren Einkommen besonders trifft, bestreitet niemand. Ein Beispiel: Wer bis zu rund 640 Euro pro Monat erhält, bezahlt keine Lohnsteuer, er kommt in den Genuss des Grundfreibetrags. Auf jeden weiteren Euro wird dann der Eingangssteuersatz von 15 Prozent erhoben. Bei einem zu versteuernden Einkommen von 1.500 Euro pro Monat - wahrlich kein Reichtum - liegt man bereits über 20 Prozent Belastung. Und schnell steigt der Steuersatz auf 25, 30 und 35 Prozent. "Mittelstandsbauch" wird dieses Phänomen im Steuerjargon genannt. Das heißt: Besonders die von den Parteien umworbene Mittelschicht zahlt die Zeche und die Staatsfinanzen.
Genau an dieser Stelle setzt CSU-Chef Huber nun an: Indem der Grundfreibetrag erhöht und die Steigerung der Steuersätze verringert wird, will er die unteren und mittleren Einkommen entlasten. Aber auch für den gutsituierten Mittelstand hat Huber etwas im Angebot. Ab einem zu versteuernden Einkommen von etwa 4.300 Euro pro Monat bezahlt man schon den Spitzensteuersatz von 42 Prozent. Diese Grenze will Huber auf 5.000 Euro anheben.
Sich für die Mittelschicht einzusetzen, ist immer gut. Dabei muss man allerdings bedenken, dass es keine "systematische Analyse der Verteilung von steuerlichen Belastungen und Entlastungen" gibt, wie DIW-Mann Bach sagt. Ob die Mittelschicht leidet oder profitiert, weiß keiner genau. Immer werden nur einzelne Steuerarten betrachtet, etwa die Lohnsteuer. Wie Lohn-, Mehrwert-, Öko- und andere Steuern zusammenwirken, liegt im Dunkeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Fortschrittsinfluencer über Zuversicht
„Es setzt sich durch, wer die bessere Geschichte hat“