Kommentar Steuersenkung: Nur in Belgien ists schlimmer

Nicht die Steuern, sondern die Sozialabgaben müssen gesenkt werden - für Geringverdiener und Mittelschicht. Doch darüber schweigen die Parteien eisern.

Steuern runter! Mit diesem Versprechen trifft die CSU die Stimmung bei den meisten Wählern. Das zeigt sich daran, dass nun auch die SPD an einem Steuerkonzept bastelt. Ende Mai schon soll es vorgestellt werden. Für diese Eile ist das Wort Hektik noch eine Untertreibung. Im Parteienkampf um die niedrigsten Steuersätze wird jedoch eines übersehen: Nicht die Steuern belasten die Geringverdiener und die Mittelschichten so stark - sondern die Sozialabgaben. Doch über sie wird eisern geschwiegen.

Dazu eine kleine Rechnung mit einem Geringqualifizierten als Hauptperson: Immerhin verdient er den angepeilten Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde, was einen Jahresverdienst von rund 14.400 Euro im Jahr bedeutet. An Einkommensteuern muss er laut Grundtabelle für 2007 nur 1.393 Euro zahlen - knapp 10 Prozent seines Gehaltes. Bei den Sozialabgaben hingegen fallen als Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil insgesamt knapp 40 Prozent an. Denn: Anders als die Steuern werden die Sozialbeiträge nicht progressiv erhoben, sondern bereits ab einem Monatsverdienst von 800 Euro in voller Höhe verlangt. Das bizarre Resultat lässt sich in den Vergleichsstudien der OECD nachlesen. In kaum einem anderen Land werden die Geringverdiener und die Mittelschicht vom Staat so stark zur Kasse gebeten - nur in Belgien und Ungarn ist es noch schlimmer.

Wenn CSU und SPD also glauben, dass sie Steuereinnahmen zu verschenken haben, dann sollten sie diese Milliarden in die Sozialsysteme umlenken - um dort eine niedrige Progression für Geringverdiener und die untere Mittelschicht einzuführen. So käme das Geld wenigstens bei jenen an, die es dringend benötigen. Die CSU-Steuerpläne hingegen wirken nach dem Prinzip Gießkanne: Wenn etwa der Eingangssteuersatz von 15 auf 12 Prozent sinken würde, dann profitierten davon nicht nur die kleinen Einkommen, sondern alle Steuerzahler, also auch die Spitzenverdiener. Ähnlich undifferenziert wirkt die Pendlerpauschale. Aber auf Einsicht ist nicht zu hoffen: Trotz Dementis dürfte es nicht lange dauern, bis auch die CDU ankündigt, dass sie an einem Konzept nach dem Motto arbeitet: Steuern runter!

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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