CSU-Mitglied Schlötterer über Strauß/Stoiber: "Herr, dein Wille geschehe!"
Ministerialdirigent a. D. Wilhelm Schlötterer rechnet mit der CSU ab und sagt: "Die Basis ist verunsichert". Edmund Stoiber könnte man heute noch für den Kirch-Milliardenkredit vor Gericht bringen.
taz: Herr Schlötterer, Sie haben als Insider ein Buch geschrieben über die Amigo-Wirtschaft der Ära Strauß/Stoiber und das Schweigen des Horst Seehofer dazu. Wie geht es Ihrem Buch?
Wilhelm Schlötterer: Das Buch hat sich 70.000-mal verkauft und ist nach wie vor völlig unangefochten. Die Geschwister Strauß haben zwar im März 2010 Strafantrag gegen mich gestellt, jedoch wegen angeblicher Äußerungen von mir bei zwei Lesungen - die Entscheidung der Staatsanwaltschaft steht noch aus.
Ist Ihre Abrechnung mit den CSU-Mythen in der Partei angekommen?
Die CSU-Basis ist zumindest verunsichert, sie leistet keine blinde Gefolgschaft mehr. In der Parteispitze, insbesondere bei Herrn Seehofer, sehe ich kein Umdenken. Er erklärt ständig, dass Strauß sein großes Vorbild sei.
WILHELM SCHLÖTTERER ist Verwaltungsjurist und war im Bayerischen Finanzministerium Leiter des Referats für Steuerfahndung und Steuererlass. Das Buch "Macht und Missbrauch", Heyne-Verlag, ISBN-13: 9783771644345, ISBN-10: 3771644348
Aber Seehofer ist selbstbewusst, gibt sogar Ratschläge an andere Parteien?
Seehofer hat einen Neuanfang in Bayern versprochen. Der blieb aus. Er hat versprochen, dass die CSU-Basis mehr zu sagen hat - das blieb auch aus. Wieso er jetzt glaubt, der FDP belehren zu müssen, ist mir unerklärlich.
Er sonnt sich auch in den Umfragewerten - 45 Prozent!
Grundsätzlich sind die 45 Prozent begrüßenswert. Ich bin ja seit 35 Jahren CSU-Mitglied und gedenke auch nicht auszutreten. Sollen die Unanständigen aus der CSU austreten! Es muss aber an der Spitze eine Umkehr erfolgen, was rechtliche und moralische Kategorien betrifft.
Die relativ günstigen Werte werden vor allem auf Verteidigungsminister zu Guttenberg zurückgeführt. In Ihrem Buch nennen Sie sein Vorgehen beim Durchdrücken der Kandidatur zum Europarlament der Strauß-Tochter Monika Hohlmeier 2009 "dienstbeflissen" und ohne die "geringsten Skrupel".
Ich hoffe, dass dieses Fehlverhalten von zu Guttenberg ein einmaliger Ausrutscher bleibt. Ich könnte mir vorstellen, dass er die in ihn gesetzten Hoffnungen erfüllt, dass er sich zum Gegenpol von CSU-Spitzenpolitikern des alten Systems entwickelt.
Frau Hohlmeier strebt ja weiterhin eine politische Karriere an. Wie finden Sie das?
[Lacht] Die Frage beantwortet sich von selbst.
Also mit zu Guttenberg vorwärts und vergessen?
Vertrauensbildender wäre es natürlich, wenn man die Vergehen von früher ahndet. Das ist ein echtes Manko. Wenigstens müsste man erklären, dass man sich von den Machenschaften abwendet. Aber weder Horst Seehofer noch ein anderes Mitglied der Staatsregierung hat sich je bei mir oder einem der Opfer, die ich im Buch darstelle, entschuldigt oder wenigstens sein Bedauern ausgedrückt - da ist nichts, nichts an Wiedergutmachung.
Vielleicht haben sie keine Zeit - sie müssen sich mit der Landesbank und ganz aktuell mit deren ehemaligem Vorstand Gerhard Gribkowsky beschäftigen, der wegen einer 50-Millionen-Dollar-Provision ungeklärter Herkunft verhaftet worden ist.
Der Mythos von der besonderen wirtschaftlichen Sachkompetenz der CSU ist natürlich schwer erschüttert, weil sie rund um die Landesbank ihr völliges Versagen bewiesen hat. Die Sache Gribkowsky ist gesondert zu sehen, man muss die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft abwarten. Hintergrund bleibt aber der flöten gegangene Milliardenkredit der Landesbank an den hochverschuldeten Leo Kirch. Stoiber hat sich seinerzeit im Landtag hinter diese Kreditvergabe gestellt. Ein renommierter Rechtsanwalt hat ihn wegen des Verdachts der Untreue angezeigt, weil er sich damit die Unterstützung von Kirchs Medien für seine bevorstehende Kanzlerkandidatur erkauft habe. Edmund Stoiber dafür zur Verantwortung zu ziehen, wäre auch heute noch möglich. Auch beim von Stoiber gewünschten Kauf der Hypo Alpe Adria hat sich keiner der im Verwaltungsrat der Landesbank sitzenden Minister getraut zu widersprechen oder auch nur nachzuprüfen. Sie sagten sich wohl: "Herr, dein Wille geschehe" - mit den bekannten, verheerenden Folgen für Bayern. Aber die Bürger sind hellhörig geworden.
Und die Staatsanwaltschaft?
Im Fall Gribkowsky hat die Staatsanwaltschaft funktioniert. Generell wäre aber eine Justizreform dringend geboten. Deutschland ist fast das einzige Land in Europa, in dem die Staatsanwälte weisungsgebunden sind. Gegenbeispiel sind etwa die Staatsanwälte in Italien - die sind unabhängig wie Richter. Bei uns unterstehen sie dem Justizminister und dieser dem Ministerpräsidenten. Es wäre also völlig sinnlos, gegen einen Ministerpräsidenten eine Strafanzeige zu erstatten. Deswegen habe ich dies auch unterlassen.
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