CSDs trotzen rechten Angriffen: „Wir haben Angst, dass es wieder wird wie in den 90ern“
In Brandenburg finden diesen Sommer 17 CSD-Paraden statt, in ganz Ostdeutschland 50. Mit Gegenprotest von jugendlichen Neonazis ist zu rechnen.

Armonies, vor drei Jahren aus Göttingen zum Studium nach Eberswalde gezogen, kann ausführlich darüber berichten, wie sehr die Themen Sicherheit und rechte Angriffe das etwa zehnköpfige Orgateam des CSD beschäftigten: Von einer oft feindlichen Grundstimmung gegen queere Menschen in der Stadt und Beleidigungen auf offener Straße. Von der AfD, die versucht, jede noch so kleine Unterstützung durch Stand oder Landkreis zu verunmöglichen, und von gewaltbereiten Nazis, die gegen den CSD mobilisieren. Armonies sagt: „Jede einzelne Veranstaltung ist auch ein Angriffspunkt.“
Max Armonies, Initiator:in und Sprecher:in, CSD Eberswalde
Die CSD-Saison startete Ende April im sachsen-anhaltinischen Schönebeck – und das gleich mit einem Eklat. Die Polizei beendete die Veranstaltung vorzeitig, angeblich wegen fehlenden Sicherheitspersonals, später kritisierte sie auch den ungenügenden politischen Charakter der Reden. Die Veranstalter sprachen von Vorwänden, fühlten sich gegängelt und nicht gewollt. Schlecht ging es dann Mitte Mai im Westen weiter: Der CSD Gelsenkirchen musste wegen einer „abstrakten Bedrohungslage“ abgesagt werden. Problemlos verliefen dagegen die ersten beiden Umzüge in Brandenburg, an den vergangenen beiden Wochenenden in Angermünde und Brandenburg/Havel.
Allein in Brandenburg finden in dieser Saison 17 CSD-Paraden statt, einige zum ersten, die meisten erst zum zweiten oder dritten Mal. Von Rheinsberg bis Bernau, von Cottbus bis Oranienburg gibt es die nächsten Monate fast wöchentlich Demonstrationen für die Rechte queerer Menschen und ihre Sichtbarkeit in der Provinz. Etwa 50 sind es in ganz Ostdeutschland – so viele wie nie zuvor. „Vielen Menschen wird bewusst: Wenn sie ihre Rechte behalten wollen, müssen sie dafür kämpfen“, sagt Armonies.
Angst vor Nazi-Übergriffen
Besorgt sind die Veranstalter:innen nicht mehr nur aufgrund einer gesellschaftlichen Stimmung oder mitunter feindlich gesinnter Stadtverwaltungen. Inzwischen sind es ganz praktische Sicherheitsfragen wie die Angst vor Nazi-Übergriffen, die die CSD-Orgas auf dem ostdeutschen Land beschäftigen. Präsent sind die Erinnerungen aus dem vergangenen Sommer. Damals kam es erstmals zu großen rechtsextremen Gegenprotesten. In Bautzen durfte ein militanter Mob aus 700 Neonazis dem CSD-Aufzug hinterherlaufen und dabei seinem Hass frönen.
Gezählt wurden 2024 insgesamt 27 Mobilisierungen gegen CSDs. Es war das Outcoming einer neuen Generation junger Neonazis, die den Sprung von der Internetvernetzung auf die Straße vollzogen. Inzwischen hat sich die Szene gefestigt, organisiert in immer mehr Gruppen. Die Feindschaft gegen Queers ist dabei eines der Grundelemente dieser ideologisch wenig gefestigten Szene.
Für die Organisator:innen der CSDs war Bautzen eine Zeitenwende. Das Thema Sicherheit ist seitdem viel präsenter, sagt Anna Klumb vom CSD Rheinsberg. Ebenso wie in Eberswalde fand in der nordbrandenburgischen Kleinstadt vor einem Jahr der erste CSD statt – Bautzen stand noch bevor – und Sorge vor Naziübergriffen hatte man kaum. Damals stand die „Konfrontation mit der Stadt“ im Vordergrund, erzählt Klumb. Der CSD war eine Antwort darauf, dass sich der Bürgermeister geweigert hatte, eine Regenbogenfahne zu hissen.
„Dieses Jahr haben wir eher Sorge vor Angriffen von außerhalb“, sagt Klumb. Trotz der hohen Kosten und fehlender Unterstützung vom Land habe man sich daher extra eine professionelle „Schutzgruppe“ eingekauft, um für die Sicherheit der Teilnehmer:innen, die auch aus Berlin und Hamburg anreisen werden, zu sorgen. Auch im monatlichen Netzwerktreffen der Brandenburger CSDs, organisiert von Verein Andersartig aus Potsdam, ist Gewalt von rechts ein Thema.
„Wir sind vorbereitet und wir sind nicht allein“
In einer gemeinsamen Erklärung ostdeutscher CSDs und Pride-Veranstaltungen, einer Vernetzung, die sich Anfang des Jahres zusammenfand, heißt es: „Die Realität ist besorgniserregend: Die Bedrohungen durch rechtsextreme Akteure in den östlichen Bundesländern haben in den letzten Jahren stark zugenommen.“ Queere Räume und Sichtbarkeit seien bedroht: „Einen CSD zu organisieren bedeutet hier nicht selten, sich persönlichen Anfeindungen, Drohungen und manchmal sogar physischer Gewalt auszusetzen.“ Eine Kapitulation ist die Erklärung derweil keineswegs, die Ansage ist kämpferisch: „Wir zeigen Präsenz mit Zuversicht. Wir sind vorbereitet und wir sind nicht allein.“
Diese Woche startete Campact eine Spendenkampagne, um die CSDs in einer „vergifteten gesellschaftlichen Debatte“ bei ihren steigenden Kosten insbesondere auch für Sicherheit zu unterstützen. 300.000 Euro wolle man umverteilen, damit die Neonazis nicht „gewinnen“.
Während es gegen den CSD in Rheinsberg an diesem Samstag keine konkrete Bedrohungslage gibt, haben in Eberswalde die Stadtverordneten der AfD, Maximilian Fritsche und David Streich, eine Gegenkundgebung auf dem Marktplatz angemeldet. Ihr stigmatisierendes Motto: „Keine Frühsexualisierung von Kindern und gegen die Indoktrination“. In einer rechten Chatgruppe bei Telegram schreiben sie: „Wir lassen uns nicht von der Regierung vorschreiben, was wir zu tolerieren haben und was nicht.“ Laut der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin ist Fritsche eng mit den jungen Neonazis etwa der „Deutschen Jugend Voran“ vernetzt. Das weiß auch Armonies: „Wir gehen von einem jugendlichem Neonaziklientel beim Gegenprotest aus.“
Obwohl die Anmeldung des CSDs zuerst vorlag und ihre Parade auch über den zentralen Marktplatz führen sollte, dürfen sich nun die Nazis genau dort versammeln. Der CSD darf den Marktplatz nur noch am Rande streifen. Trotzdem sagt Armonies, die Polizei trete ihnen gegenüber „unterstützend“ auf, die Routenänderung sei mit der „Gefahrenlage“ begründet. Für die Veranstaltungen der Queeren Wochen habe die Polizei verstärkten Schutz zugesichert.
AfD und CDU verhinderten eine Förderung
Gegenwind erhielt der CSD aus dem Kulturausschuss des Kreistags Barnim. Das Orgateam hatte für die Queeren Wochen eine Kulturförderung von 2.600 Euro beim Landkreis beantragt, 1.000 Euro wollte die Verwaltung bewilligen. Doch AfD und CDU verhinderten das – mit der laut Märkische Oderzeitung bezeichnenden Argumentation eines Abgeordneten der CDU-Fraktion: „Es geht um Sexualität und da ist wenig Kultur dabei.“
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Besser laufe es mit der Stadt Eberswalde, die die Queeren Wochen unterstütze und auch mit 1.900 Euro fördere. Armonies lobt insbesondere die Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsbeauftragten. Doch die Kooperation bleibt trotzdem auf einzelne Veranstaltungen begrenzt, denn auch hier macht die AfD als stärkste Fraktion in der Stadt Druck, etwa durch kleine Anfragen, in denen sie argumentiert: „Förderungen von Veranstaltung mit politischer und ideologischer Schlagseite sind unzulässig.“
Armonies sagt: „Weil faschistische Tendenzen, die unsere Existenz gefährden, immer größer werden, ist uns das so aufgedrückt. Wir können nicht queerfeministisch agieren ohne antifaschistisch zu sein.“ Ganz bewusst nehme man auch Stellung gegen den Alltagsrassismus in der Stadt und versuche etwa queere BiPoc-Personen in das Veranstaltungsprogramm einzubeziehen. Doch die Angst vor der Öffentlichkeit sei groß. Und das nicht nur bei People of Colour. Auch aus dem Orgateam des CSD traue sich kaum jemand öffentlich aufzutreten. „Viele sagen mir: Wir haben Angst, dass es wieder so wird wie in den 90ern“, so Armonies. Baseballschlägerjahre also.
Die Konsequenz heißt, Veranstaltungen nicht hinter großen Fensterfronten abzuhalten und sie nur kurzfristig zu bewerben. Sich mit sicheren An- und Abfahrtswegen bei einem Bahnhof mit nur einem Ausgang zu beschäftigen. An Schirme zu denken, um rechte Streamer abzuwehren. Drüber zu reden, wie mit Pöbeleien umgegangen werden muss.
Organisierte Anreisen von Unterstützer:innen
Alleine aber sind die ostdeutschen CSDs dabei nicht. Fast zu jeder Parade gibt es inzwischen organisierte Anreisen von Unterstützer:innen, etwa den Gruppen Pride Soli Ride oder dem Solidarischen Bündnis gegen Rechts. Die Berliner Vernetzung aus antifaschistischen und queeren Initiativen gründete sich ursprünglich, um linke Strukturen im Vorfeld der Brandenburger Landtagswahl 2024 zu unterstützen, inzwischen fokussiert man sich voll auf CSD-Support, wie die beiden Aktivistinnen Bente und Mia erzählen.
Regierte man im vergangenen Jahr noch kurzfristig auf Nazi-Bedrohungen, laufe die Arbeit dieses Jahr organisierter. Frühzeitig wurden Kontakte zu etwa 15 CSDs aufgenommen, zu denen man Bahnanreisen plant. Dabei verstehe man sich nicht nur als Feuerwehr: „Wir haben nicht gesagt, in Bad Belzig droht kein Angriff, deshalb interessiert uns das nicht“, sagt Mia. Es gehe auch darum, „zu unterstützen, wofür CSDs stehen“. Heißt auch: Man kommt nicht als Black Block, sondern versucht dem Ausdruck von Pride-Veranstaltungen zu entsprechen.
Möglichen Angriffen wolle man nicht als kleine schlagkräftige Truppe, sondern gemeinsam entgegentreten. „Schutz ist Kollektivsache“, so Bente: Zusammenstehen beim Warten auf den Zug, nicht vereinzelt durch die Städte bewegen, besonders wachsam sein. Um sich gemeinsam vorzubereiten, werden auch Aktionstrainings angeboten.
In Eberswalde ist man dankbar über diese Unterstützung, sucht sie auch bewusst. Armenies sagt, man stehe mit diversen Gruppen aus Berlin, Potsdam oder Frankfurt/Oder in Kontakt. „Wir versuchen Leute zu sensibilisieren, damit viele hierher kommen, die auch stabil sind und bei einer Eskalation nicht direkt wegrennen.“ Wichtig sei jedoch: „Wir sind keine Gegendemo gegen die Nazis, wir sind der CSD und stehen für unsere Werte.“
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