CSD in sächsischer Kleinstadt: Regenbögen über Pirna

Am Wochenende feiert das sächsische Pirna den Christopher Street Day – trotz und wegen des AfD-nahen Oberbürgermeisters.

Teilnehmer*innen des Christopher Street Days versammeln sich mit Regenbogenfahnen auf dem Marktplatz in Prina

Teil­neh­me­r*in­nen des CSD am 13. Juli auf dem Marktplatz in Pirna Foto: Matthias Rietschel/dpa

PIRNA taz | Die bewegendsten Sätze des 13. Christopher-Street-Days in Pirna gingen beinahe unter in der Fülle der Ansprachen und Showeinlagen. Am späten Samstagnachmittag sprach eine Rednerin des Bündnisses „Solidarisches Pirna“, das sich nach der Wahl des AfD-nahen Oberbürgermeisters Tim Lochner im Februar gegründet hatte. Sie schilderte die Bedrohungserfahrungen, „wenn Faschos an der Tür rütteln“ und traf mit dem „Lachen über das Wikinger-Outfit des Obernazis“ zugleich die fröhliche CSD-Stimmung auf dem Pirnaer Marktplatz. Die Liebeserklärung an ihre Stadt Pirna verband die Rednerin mit der Aufforderung, sich „die Straße von den Rechten zurückzuholen“.

Seit 2010 hielt der vorherige Oberbürgermeister Klaus-Peter Hanke stets seine schützende Hand über den damals kleinsten CSD Deutschlands. Dafür erhielt er auf der Bühne nun den ersten symbolischen „Pirnaer Diversity Award“. Sein für die AfD angetretener Nachfolger Tim Lochner hatte dagegen schon im Wahlkampf angekündigt, die Regenbogenflagge vom Rathaus zu verbannen. Das Verhalten des neuen Oberbürgermeisters und andere Vorfälle hatten überregionale Solidarität mobilisiert und ein breites Medieninteresse am Pirnaer CSD geweckt.

Zum internationalen Tag gegen Homophobie im Mai hisste dafür die Marienkirche von ihrem Turm die Fahne. Lochner denunzierte das auf Facebook als „billige politische Einmischung“ einer „Staatskirche“ und zog einen Vergleich mit den Hakenkreuzfahnen der Nazizeit. Vor einem Jahr wurden bereits zwei Regenbogenfahnen vor dem Rathaus gestohlen.

Auch auf dem Dresdner Altmarkt wurde bei einer Demonstration der „Blauen Welle“ in der Vorwoche eine Regenbogenfahne zerrissen und angezündet. Beteiligt waren Jürgen Elsässer, Herausgeber des rechtsextremen Compact-Magazins, und der frühere AfD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt André Poggenburg.

Queer, bunt und schrill

Am Wochenende führte zwar auch die Werbung eines Hape Kerkeling nicht zur bereits euphorisch angekündigten Reisewelle von 20.000 Unterstützern nach Pirna. Das wäre die Hälfte der Einwohnerzahl der Stadt am Tor zur Sächsischen Schweiz gewesen. Die Polizei schrieb offiziell von 1.200 Teilnehmern, wobei deren Zahl im Absperrbereich rund um den Markt schwer zu schätzen war. Unter diesen fanden sich neben den queer, bunt und schrill Kostümierten aber auch erstaunlich viele gutbürgerliche Pirnaer jeden Alters, die wie eine ältere Dame „einen solchen Aufzug unbedingt mal erlebt haben“ wollten. Und unter den zahlreichen Ständen waren nicht nur die einschlägigen Vereine und Parteien zu entdecken, sondern auch Firmen und Geldinstitute.

Auf der Bühne bestimmten die beiden Mo­de­ra­to­r*in­nen Brigitte und Mataina das Flair. Die aus Köln mit einem Gefolge von etwa 20 jungen Leuten angereiste Dragqueen Meryl Deep hatte einen großen Auftritt. Leidenschaftlich trat auch der Queer-Beauftragte der Bundesregierung und Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Lehmann auf. „Das ist eine Demo für Demokratie, keine Veranstaltung für die Sonderrechte einer kleinen Minderheit“, stellte er klar. In den zahlreichen Talks war viel von Selbstfindung und vor allem Selbstbehauptung gegen zunehmende Attacken die Rede.

Das tat einer entkrampften, ja ausgelassenen Stimmung in der Pirnaer Innenstadt keinen Abbruch. Über den zahlreichen Regenbögen schwebte der vom Turm der Marienkirche. Ein krasser Kontrast zum parallel in Dresden eröffneten Landtagswahlkampf der AfD, auf dem neben Hassparolen auch wieder vom „Jagen“ die Rede war.

Der AfD-nahe OB Tim Lochner hatte im Vorfeld lediglich seinen Büroleiter erklären lassen, dass er die psychologische Beratung des Pirnaer CSD-Vereins zwar schätze, „knallbunte Partys in einer touristisch geprägten Stadt“ aber als hinderlich erachte. Anfang Juni hatten Schüler des Schiller-Gymnasiums gegen seine Einladung zum Schulfest in einem offenen Brief protestiert. „Er macht sonst überhaupt nichts, weder dafür noch dagegen“, kommentierte Alt-Oberbürgermeister Hanke im Gespräch die ersten Amtsmonate seines Nachfolgers.

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