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CONTRA: KEINE ABSTIMMUNG ÜBER DIE OSTERWEITERUNG DER EUSteilvorlage für die extreme Rechte

Hätte Günter Verheugen tatsächlich vorgeschlagen, in Deutschland ein Referendum über die EU-Osterweiterung durchzuführen und dazu gegebenenfalls gar das Grundgesetz zu ändern, man müsste ihn für politisch verrückt erklären. Hat er aber nicht, bemüht er sich jetzt zu erläutern. Nur: Was er tatsächlich gesagt hat, ist nicht viel besser.

Im Kern läuft Verheugens Idee auf ein Kompensationsgeschäft hinaus: Weil die politische Klasse unter der Regentschaft Kohls – aber mit mehr als stillschweigender Billigung der sozialdemokratischen Opposition – den Euro-Beitritt Deutschlands einfach dekretiert hat und weil man merkt, dass es Probleme mit der Akzeptanz dieser Entscheidung gibt, soll – beziehungsweise: sollte, müsste – das Volk eben wenigstens jetzt gefragt werden.

Nur: Jetzt geht es nicht mehr um Deutschland, sondern um die osteuropäischen Beitrittskandidaten. Schon die Euro-Abstimmungen in anderen EU-Ländern haben immer auch eine Welle nationaler Ressentiments emporgespült. Aber immerhin stimmten dabei die betroffenen Bevölkerungen selbst ab – über ihre eigene Haltung gegenüber dem geeinten Europa. Ein bundesdeutscher Volksentscheid über die Osterweiterung hingegen hieße praktisch, die Parole „Polen raus!“ zur Abstimmung zu stellen – eine Steilvorlage für Rechtsextreme und jede nur erdenkliche Art dumpfesten Populismus. Kein Wunder, dass Verheugen Beifall von Jörg Haider erhält.

Dass das alles nur ein Gedankenspiel ist, macht es fast noch schlimmer: Da erklärt jemand, den die repräsentative Demokratie auf einen der lukrativsten Posten Europas gesetzt hat, dass ebendiese Demokratie nicht funktioniere, mithin gerade in dem Bereich, für den er selbst zuständig ist, durch direkte Demokratie ersetzt gehöre. Wenn der Mann das wirklich glaubt, muss er sofort zurücktreten.

Die alternative Linke der alten Bundesrepublik hat von jeher mehr plebiszitäre Elemente in der Demokratie gefordert. Soziale Bewegungen, auch die DDR-Bürgerbewegung, ziehen per se die Auseinandersetzung um Inhalte dem Parteienstreit vor. Insofern sind auch die Grünen der neuen Debatte gegenüber in einer argumentativen Zwickmühle. Richtschnur dabei kann aber nur sein, alles zu vermeiden, was in Deutschland, und insbesondere in Ostdeutschland, Ausländerfeindlichkeit und Ressentiment zur verständlichen Meinungsäußerung erklärt und gar zur Abstimmung stellt.

Verheugens Vorschläge, so wenig durchdacht, wie sie sind, kommen zur Unzeit und konstruieren erst einen Konflikt, wie ihn sich die extreme Rechte nur allzu sehr wünscht. BERND PICKERT

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