CDU und AfD in Sachsen-Anhalt: Der Staat bin ich

Holger Stahlknecht heißt der neue CDU-Chef in Sachsen-Anhalt. Er will der nächste Ministerpräsident werden. Wie wird er mit der AfD umgehen?

Holger Stahlknecht am Fürstenwall in Magdeburg​

„Starker Staat, ja! Rechtsruck, nein!“: Innenminister Holger Stahlknecht am Fürstenwall in Magdeburg​ Foto: Harald Krieg

Das ist ein Tag wie geschaffen für Holger Stahlknecht. Das Laub hängt wie goldene Tropfen ringsum, golden ergießt sich die Herbstsonne auf den Bürgermeister, die Schützengilde, die Polizisten und die Schulklassen, die angetreten sind, um den Ministerpräsidenten das Landes Sachsen-Anhalt zu begrüßen. Die Karosse biegt auf den Hof, Holger Stahlknecht steigt heraus, das Haupthaar silbrig glänzend. Stahlknecht drückt Bürgermeister Andrej Haufe die Hand. Noch kurz ein Pfeifchen geschmökert, schon geht es hinein in das Bürgerhaus.

Und die Schützengilde? Die Kinder? Die gibt es nicht, jedenfalls nicht hier. Genauso wenig, wie es den Ministerpräsidenten Stahlknecht gibt. Innenminister ist der 53-Jährige in Sachsen-Anhalt seit sieben Jahren. Ministerpräsident ist er zwar nicht, doch Stahlknecht hat das Amt fest im Blick. Er will die AfD, die 2016 bei der Landtagswahl 24,3 Prozent erhielt, zurechtstutzen und die CDU zu neuer Größe führen. Die nächste Landtagswahl steht zwar erst 2021 an, doch beim Landesparteitag der CDU am 17. November hat er er den Grundstein gelegt und sich zum CDU-Chef wählen lassen. So kann er Reiner Haseloff, seit sieben Jahren Ministerpräsident, beerben. Dass Haseloff noch einmal antritt, gilt als ausgeschlossen.

Und deswegen fühlt es sich für einen Moment schon so an, als würde der Landesherr erscheinen. Und das liegt nicht nur am Einstecktuch, am Chronometer und der Tabakpfeife. Nein, der CDU-Mann verströmt gleichermaßen Entschlossenheit und Gottvertrauen darauf, dass die gärenden Zeiten, die das Land erfasst haben, bald ein Ende finden.

Deswegen versäumt es Stahlknecht nicht, die beiden Regionalbereichsbeamten zu grüßen, die wahrhaftig anwesend sind, sich aber in ihrer mattblauen Kluft an der Seite verstecken und die jeder andere Minister übersehen hätte. Für Stahlknecht sind sie so etwas wie Bundesgenossen. Er wird viel von Verlässlichkeit reden, vom funktionierenden Staat und eine Politik tadeln, die allein auf soziale Wohltaten setzt. „Zufriedenheit ersetzt kein Vertrauen“, wird er heute, bei seiner Reise in den Süden Sachsen-Anhalts, gleich dreimal predigen. Und ist nicht Vertrauen das höchste Gut in der Politik?

Blödheit aber muss man auch Blödheit nennen. „Wie krank ist jemand, der auf einer Holzbank grillt?“, fragt Stahlknecht, als wäre das hier jetzt nicht der Ratssaal, sondern die Dorfkneipe. „Das geht doch nicht, eine Parkbank anzuzünden. Das ist ja völlig irre.“ Wie soll man es sonst nennen, was dem Innenminister vorgetragen wurde?

Da hat man hier, mitten im einstigen DDR-Chemiedreieck, so eine hübsche Seenlandschaft geschaffen, und dann kommen Knalltüten, stellen ihren Grillschale auf eine der nagelneuen Bänke und braten ihre Würste, bis die Latten brennen. Bürgermeister Haufe, ein ehemaliger Polizist, blickt fragend durch seine taubenblaue Brille. Die Ortsbürgermeister sind ratlos, ebenso wie die Mitarbeiter vom Ordnungsamt. Sie haben einen Zettel vor sich, der alle Klagen auflistet: Offene Feuer, illegales Zelten, Vandalismus und „Müll, Müll, Müll“.

Früher waren es die fehlenden Jobs, die den Bürgermeistern Falten ins Gesicht trieben, heute sind es öffentliche Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit. Einer redet, die anderen halten Stifte. Könnte die Polizei nicht mehr Präsenz zeigen? „Da müssen die jungen Leute wieder zusammenzucken“, sagt einer.

„Wenn ich die Koalitionsverhandlungen führe“

„Ja, die Erziehung, Freunde, ist nicht Aufgabe des Staates.“ Stahlknecht, der eben noch zurückgelehnt zugehört hat, richtet sich auf. „Wenn die Achtung vor der Polizei verloren geht, dann kann ich als Minister wenig machen.“ Seine zwei Söhne, 15 und 18 Jahre alt, die haben er und seine Frau erzogen, nicht der Staat. Und wenn jemand erwarte, hier müsste es 11.000 Polizisten geben wie zu Honeckers Zeiten, dann sei das jenseits aller Vorstellung. „Die DDR war ein Polizeistaat“, erinnert Stahlknecht, der Mann, der 1995 aus Hannover kam, die gewesenen DDR-Bürger an die Zustände im „Arbeiter- und Bauernstaat“. „Sie können so viel Polizei einstellen, wie Sie wollen, Sie werden keine Nullkriminalität haben.“

Dann präsentiert Stahlknecht aber doch noch seinen Plan von der omnipräsenten Polizei. Er streicht dabei, als würde er eine Landkarte ausbreiten, mit seinen Händen über den Tisch. „Sie legen über Sachsen-Anhalt Bierdeckel, die sich überlappen.“ Innerhalb dieser Kreise rollen unablässig Streifenwagen, fährt der Innenminister fort, GPS-gesteuert und jederzeit in der Lage, binnen 20 Minuten jeden Punkt zu erreichen. „Da, wo es drauf ankommt, ist die Polizei da.“

Und wann wird das Wirklichkeit? „Wenn ich die Koalitionsverhandlungen führe.“ Wie Stahlknecht das sagt, klingt es nicht einmal vermessen, eher verheißungsvoll. 2021 ist Holger Stahlknecht nicht mehr Innenminister, sondern Regierungschef. Dann wird es im Land auch die versprochenen 7.000 Polizistinnen und Polizisten geben.

Neulich hat er 700 Anwärter vereidigt. Die Frauen und Männer stehen in schneeweißen Hemden auf der Wiese und haben die Hand zum Schwur erhoben. Entschlossene junge Menschen, tadelloses Äußeres, fester Blick. Solche Fotos sind gewiss nach Stahlknechts Geschmack, Bildunterschrift: „Starker Rechtsstaat ohne Rechtsruck!“ So sagt es Stahlknecht jetzt. Da steht er entspannt vor dem Bürgerhaus und stopft seine Pfeife. Man kann sagen, es läuft gut.

AfD und CDU nähern sich an

Nicht nur Christdemokraten halten Stahlknecht für geeignet, den Pfuhl, den die AfD in die politische Landschaft gesetzt hat, deutlich zu verkleinern. Dass fast jeder vierte Wähler für die AfD unter ihrem tumben Landesvorsitzenden André Poggenburg gestimmt hat, war bei einer Landtagswahl deutschlandweit einmalig. Den Staat stärken, der AfD das Wasser abgraben und ihre Wähler zurückholen – das ist die eine Variante, mit dieser Partei umzugehen. Es gibt noch eine andere. Inzwischen attestieren selbst Christdemokraten der Landes-CDU in Teilen eine Affinität zur AfD. Es gibt auch Stimmen, die sagen, dass es die CDU in Sachsen-Anhalt sein könnte, die in nicht allzu ferner Zukunft mit der AfD paktiert. Gründe dafür liefert die CDU-Landtagsfraktion selbst.

Als die AfD im August 2017 im Landtag beantragte, eine Enquete-Kommission „Linksextremismus in Sachsen-Anhalt“ zu bilden, waren viele in der CDU so begeistert, dass sie zustimmten. Dabei wäre dieses Signal gar nicht nötig gewesen. Das Quorum hätte die AfD auch so erreicht. „Politisch halte ich das nicht für richtig“, tadelte Angela Merkel sofort. André Poggenburg aber bedankte sich bei den Kollegen mit Avancen, eine CDU-Minderheitsregierung – nach einem möglichen Zerfall der Kenia-Koalition – zu unterstützen.

Den Staat stärken, der AfD das Wasser abgraben und ihre Wähler zurückholen – das ist die eine Variante, mit dieser Partei umzugehen. Es gibt noch eine andere: paktieren

Konkret ist der Verein „Miteinander“ in die Schusslinie der AfD geraten. Das Demokratienetzwerk, das rechtsextremistische Aktivitäten untersucht und zwangsläufig auch die AfD unter die Lupe nimmt, erhält staatliche Zuschüsse. Die will die AfD-Fraktion streichen, am liebsten aber den Verein wegen „fehlender Neutralität“ ganz auflösen. In den Reihen der CDU gibt es auffallend großes Verständnis dafür.

Das größte Aufsehen erregte aber die Aufnahme von Jens Diederichs in die CDU-Fraktion. Der AfD-Mann, ein ehemaliger NVA-Offizier, der im Wahlkampf 2016 auch gegen Christdemokraten hetzte und über Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge räsonierte, zog als Direktkandidat in den Landtag ein. Nach einem Jahr wollte Diederichs in der AfD einen „Rechtsruck“ bemerkt haben und verließ Fraktion und Partei. Nur sieben Tage später nahm ihn die CDU-Fraktion auf. Formal ist Diederichs „Hospitant“. Doch diese Feinheit fällt im Alltag nicht auf. Seit Juni 2017 segelt Diederichs unter dem Label der Christdemokraten. Briefbogen, Mailadresse, Abgeordnetenbüro – alles mit CDU-Logo versehen, solide, konservativ und freiheitsliebend.

Die Aufnahme hatte in der CDU zu heftigen Turbulenzen geführt. Der Bürgermeister von Hettstedt, Danny Kavalier, der durch seine offene Flüchtlingspolitik bekannt geworden war, forderte aufs Schärfste die Rücknahme des Beschlusses. Er ist CDU-Vorsitzender im Kreis Mansfeld-Südharz, dem Kreis, in dem Diederichs zur Landtagswahl angetreten war. Er solle sich nicht so haben, musste Kavalier sich sagen lassen, erzählte er im August und verbat sich noch einmal jegliche Zusammenarbeit mit der AfD. Wenig später erlag der 40-Jährige einem Herzinfarkt. Die Bestürzung war groß. Diederichs aber sah seine Stunde gekommen. Bei der Neuwahl des Bürgermeisters trat er an. Er landete auf dem letzten Platz, hinter dem CDU-Kandidaten.

Holger Stahlknecht raucht Pfeife

Holger Stahlknecht Foto: Harald Krieg

„Saublöd“ war Diederichs’ Kandidatur, sagt Stahlknecht. Seine Aufnahme in die Fraktion verteidigt er allerdings. Auch aus der Links-Fraktion habe man schon einmal eine Kollegin aufgenommen. Jeder könne seine Ansichten ändern. Außerdem habe so mancher in der Fraktion bei der knappen Mehrheit schlicht die eine zusätzliche Stimme gesehen. „Das ist Machtarithmetik.“ Diederichs’ Ausflug in die Landespolitik sei allerdings mit der nächsten Wahl vorbei. Dennoch: „Es ist für Teile der CDU schwierig, dass er in die Fraktion aufgenommen wurde.“ Selbst wirkt Stahlknecht nicht so, als hätte er sich wegen der Personalie lange den Kopf zerbrochen.

Im Landtag ist es aber der Innenminister, der die Angriffe der AfD pariert. Als Hans-Thomas Tillschneider, Islamwissenschaftler und nebenbei völkischer Prophet der AfD, Angela Merkel als „schlechteste Kanzlerin aller Zeiten“ beschimpfte, erinnerte ihn Stahlknecht an jenen Reichskanzler, der Deutschland wirklich ins Verderben ritt. Applaus erhält er nach solchen Paraden eher von der SPD und den Grünen, den Koalitionspartnern. Die eigenen Reihen scheinen seinen Einsatz oft zurückhaltender zu goutieren.

Und die AfD arbeitet an ihrem Image. André Poggenburg, bis dato Landesfürst der AfD, legt im Frühjahr 2018 überraschend seine Ämter als Partei- und Fraktionschef nieder und wird in die zweite Reihe verbannt. Und Hans-Thomas Tillschneider, Sprecher der „Patriotischen Plattform“, verkündet im September die Auflösung dieses völkisch-nationalen Flügels. Was der Strategie geschuldet ist, der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entgehen, hat einen kosmetischen Nebeneffekt – das Erscheinungsbild, durch Intrigen, Hetze und Chaos bestimmt, tauchen ein, zwei weniger belastete Gesichter in ein etwas milderes Licht.

Ein Freund der Feuerwehrleute

„Mit der AfD koalieren? In einer überschaubaren Zukunft halte ich das für unwahrscheinlich“, sagt Stahlknecht. Mit ihm sei das sowieso nicht zu machen. „Da stehe ich nicht zur Verfügung.“ Überhaupt – die AfD kopieren, sie rechts überholen, „das machen wir nicht“. Die SPD habe so versucht, die Linkspartei zu bedrängen. „Warum sollte das die CDU machen?“

Und die Zustimmung zur Enquete-Kommission? Ein „Betriebsunfall“, sagt Stahlknecht. Außerdem habe die Fraktion nicht erkannt, welche Signalwirkung das haben würde. Beim Verein „Miteinander“ lägen die Dinge anders. Gefühlt, sagt Stahlknecht, sei die CDU für den Verein immer rechts. Und als in einer Einladung von „Miteinander“ Teile der CDU mit Identitären, AfD und „Klerikalfaschist*innen“ in einen Topf geworfen wurden, war es in der CDU mit der Akzeptanz erst einmal ganz vorbei. Inzwischen hat die Landesregierung die Finanzierung für 2019 gesichert.

Bürgermeister Andrej Haufe schleppt den Innenminister über die Dörfer. Haufe steht nach sieben Jahren vor der Wiederwahl. Im Lochauer „Lindenhof“ wirbt Stahlknecht aufs Neue um Vertrauen in den Staat. „Spätestens ab September 2015 aber hat das Vertrauen gelitten.“ Wie man Vertrauen zurückgewinnt, führt er auch gleich an.

Wo andere in ihrem Auftreten eher an Parteisekretäre erinnern, ist Stahlknecht der personifizierte Staat

„Köthen ist gut gelaufen“, sagt Stahlknecht. Als an einem Samstagabend im September bei einem Streit mit Asylsuchenden aus Afghanistan ein junger Mann stirbt, rufen Rechtsextreme zur Großdemonstration auf. Stahlknecht reagiert sofort, informiert die Spitzen der Landesparteien, nimmt Kontakt zur Kirche auf, vergisst nicht, den Angehörigen zu kondolieren, dreht mit dem Hubschrauber eine Runde über Köthen und fährt ins Krisenzentrum nach Dessau. Und findet zwischendurch Zeit für ein Pfeifchen. Am nächsten Vormittag lädt er mit der Justizministerin zur Pressekonferenz. Ein zweites Chemnitz wird Köthen nicht.

Da werden wie von selbst Erinnerungen an Helmut Schmidt wach. Apropos Schmidt – beim Elbhochwasser 2013 ließ Stahlknecht kurzerhand drei Lastkähne kaufen und per Sprengung versenken, um einen Deich zu schließen.

Im „Lindenhof“ berichtet der Feuerwehrchef von Schwierigkeiten, weil zu viele Feuerwehrleute, die auswärts arbeiten, nicht einsatzbereit sind. Stahlknecht nickt sorgenvoll, bedankt sich und hat ein Anliegen: „Wenn Sie Kameradschaftsabend haben, grüßen Sie die Kameradinnen und Kameraden. Tolle Arbeit!“ Neben der Polizei ist es die Feuerwehr, mit der Stahlknecht eine geradezu symbiotische Beziehung verbindet. Niemals vergisst er, den „Blauröcken“ für ihre Einsatzbereitschaft zu danken. Als Innenminister ist das sein Beritt. Doch Feuerwehrleute sind Respektspersonen, außerdem Wähler. Sie haben Partner, Freunde, Nachbarn. Ist die Feuerwehr mit dem Innenminister zufrieden, ist es das ganze Dorf. Bei einer CDU mit kaum 7.000 Mitgliedern ist das die wahre Hausmacht. Insbesondere, wenn man etwas zu verteilen hat.

Die Kenia-Koalition, eine von CDU, SPD und Grünen aus der Not geborene, bundesweit einzigartige Konstellation, mag sie noch so unbeliebt sein, hat einen bedeutenden Vorteil. Sie ist großzügig. Was der SPD-Finanzminister zuvor in der schwarz-roten Regierung eisern gespart hat, der CDU-Nachfolger gibt es mit beiden Händen wieder aus. So hält man die Regierung zusammen. Traumhafte Zeiten für Minister. Und so übergibt Holger Stahlknecht Digitalfunkgeräte, Löschzüge, weiht Feuerwachen ein. Und er eröffnet Fußballplätze. Sportminister ist er auch.

Einstecktücher, Pfeifen, Chopin

Wenn man Stahlknecht auf Bildern sieht, wirkt er entspannt, als wäre er in dieses Amt hineingeboren. Dabei ist Holger Stahlknecht Quereinsteiger. 1995 kommt er als Staatsanwalt nach Magdeburg. Wenig später wird er zum ehrenamtlichen Bürgermeister von Wellen gewählt, wo er sich niedergelassen hat. Im Jahr 2000 tritt er, 36 Jahre alt, der CDU bei. Reinhard Höppner von der SPD ist Ministerpräsident, seine Minderheitsregierung wird – einmalig in Deutschland – seit 1994 von der PDS toleriert, das „Magdeburger Modell“. Zwei Jahre später zieht Stahlknecht mit einem Direktmandat in den Landtag ein. Das „Magdeburger Modell“ ist am Ende. Von nun an stellt die CDU den Regierungschef. Und Stahlknecht verteidigt stets sein Mandat.

Der vorläufig letzte Erfolg ist der schwierigste. Doch als 2016 gestandene Christdemokraten an unbekannten AfD-Anwärtern scheitern oder denkbar knapp ihren Job retten, siegt Stahlknecht, seit fünf Jahren Innenminister, mit fast 13 Prozentpunkten vor dem AfD-Herausforderer. Keiner hat die AfD so auf Abstand gehalten wie dieser Zugewanderte aus Hannover, der mit seinen Einstecktüchern, den Pfeifen, dem getrimmten Haar und dem Faible für Chopin eher einem Baron gleicht als einem Volksvertreter.

„Er wird relativ gut angesehen, er ist hemdsärmelig, er versucht, volksnah zu sein – das, was Haseloff nicht gelingt“, fasst ein parteiinterner Kritiker Stahlknechts Erscheinungsbild zusammen. Allerdings folge seinen schwungvollen Reden in Richtung AfD kein Handeln. „Den Stahlknecht schätze ich so ein: Der wird nie mit der AfD zusammenarbeiten“, sagt ein Christdemokrat, der einmal mit Stahlknecht aneinandergeraten ist.

Vor dem „Lindenhof“ schiebt ein alter Mann sein Fahrrad, erblickt Stahlknecht und bittet um ein Foto. Stahlknecht und Bürgermeister Haufe rahmen den Rentner mit seiner Anglerweste ein. Haufe steht etwas unschlüssig daneben, Stahlknecht legt dem Fremden die Hand auf die Schulter. Kumpelhaft ist das nicht, eher landesväterlich.

Am Abend wird es wieder ganz präsidial. Im Ständehaus in Merseburg ist Geschichte zu ausufernder Pracht geronnen. Balkone, Kassettendecke, Kronleuchter – hier versammelte sich der Landtag der preußischen Provinz Sachsen, die in ihren Grenzen in etwa Sachsen-Anhalt entspricht. Die Organisatoren der CDU-Regionalkonferenz hätten es nicht besser treffen können.

Die Stunde der Repräsentanten

Grandioser Blickfang ist das gewaltige Wandbild „Die Ankunft Kaiser Ottos I. und seiner Gemahlin Edith bei Magdeburg zum Hoftag 973“. Otto und Edith steigen von einer Barke, am Elb­ufer begrüßt von Bischöfen, Rittern und allerlei Volk. Darunter sitzt Holger Stahlknecht. Es geht um die Strategie für die Kommunal- und Europawahl im nächsten Jahr. Nur so viel, die CDU wird viel von Heimat reden.

Stahlknecht ist aufgestanden, wiederholt sein Mantra. Starker Staat, ja! Rechtsruck, nein! Stahlknecht redet, seine Stimme ist schneidend, vielleicht liegt das an den Lautsprechern, sie klingt jedenfalls schärfer als im kleinen Kreis. „Ihr wisst, ich kandidiere am 17. November. Mit mir als Landesvorsitzendem wird es 2021 keine Koalition mit der AfD geben.“ Kurzer, aber deutlicher Applaus.

Vom Podium aus hören zwei Männer zu, denen auch Ambitionen auf den Landesvorsitz nachgesagt wurden. André Schröder ist Finanzminister. Sven Schulze sitzt im Europa-Parlament und ist nebenbei Generalsekretär. Beide hier geboren, hier aufgewachsen, eigentlich hätten sie gute Karten gegen einen aus dem Westen. Doch Schröder ist angeschlagen, seit er im letzten Oktober mit seiner Büroleiterin auf Staatskosten in der Business-Class nach Washington jettete. Außerdem gilt Schröder als überfordert. Die Haushaltsaufstellung für 2019, die er in den Landtag einbrachte, war ziemlich chaotisch, ist in Magdeburg zu hören. Und Sven Schulze muss im Mai erst einmal die Europawahl gewinnen.

Doch da ist noch etwas anderes. Wo andere in ihrem ganzen Auftreten eher an Parteisekretäre erinnern, an geschäftige Berufspolitiker, ist Stahlknecht der personifizierte Staat – souverän, korrekt und ohne Flecken. Die Zeit der bloßen Pragmatiker, der Moderatoren, der Merkels und Haseloffs geht vorbei. Jetzt schlägt die Stunde der Repräsentanten. Da kommt so einer wie Stahlknecht gerade recht.

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