CDU-Parteitag für Koalition: Wie in des Kaiser neuen Kleidern
Beim CDU-Parteitag kritisiert nicht ein einziger der rund 300 Delegierten die magere Ausbeute in den Verhandlungen mit der SPD. Einstimmige Zustimmung zum Koalitionsvertrag.
Da fehlte doch etwas. Tatsächlich. Beim ihrem kürzesten Parteitag aller Zeiten oder zumindest der jüngeren Vergangenheit hat die Berliner CDU am Montagabend den Koalitionsvertrag mit der SPD derart schnell durch gewunken, dass sogar das sonst übliche Absingen der Nationalhymne ausblieb. Nach weniger als eineinhalb Stunden votierten die rund 300 Delegierten ohne Einigkeit und Recht und Freiheit einstimmig für das, was ihre Parteioberen bis vergangenen Dienstag fünf Wochen lang ausgehandelt hatten. Die SPD, die ihren Parteitag eine Stunde zuvor begonnen hatte, war da noch längst nicht fertig.
Dass die Christdemokraten der rot-schwarzen Koalition zustimmen würden, war von vornherein absehbar. Fraglich war bloß, ob nicht doch ein Delegierter aufstehen und Parteichef Frank Henkel fragen würde, ob er nicht doch mehr für die CDU hätte aushandeln können.
Tatsächlich hatten die Christdemokraten gerade in der Schlussrunde der Verhandlungen vergangenen Dienstag wenig durchsetzen können. Sie mussten einen höheren Mindestlohn im Vergabegesetz schlucken, zudem eine höhere Grunderwerbssteuer und die City Tax, eine Übernachtungssteuer für Touristen. Außerdem scheiterte die Union mit dem Versuch, erstmals seit 2003 wieder Lehrer zu verbeamten. Schon Wochen zuvor hatte die Union es nicht geschafft, Religion als Schulfach aufzuwerten, das derzeit ab Klasse 7 kein Pflichtfach ist. Außerdem verpflichtete sich die CDU,eine bereits von der rot-roten Vorgängerregierung in den Bundesrat eingebrachte Initiative zur doppelten Staatsbürgerschaft zu unterstützen.
So müht sich am Dienstagabend Partei- und Fraktionschef Frank Henkel, der absehbar in der neuen Landesregierung Innensenator wird, die wenigen CDU-Erfolge in den Koalitionsverhandlungen herauszuheben. Als “Motor der CDU“ hat ihn zuvor Generalsekretär Bernd Krömer bezeichnet. Henkel spricht von einem Programm, „in dem sich beide Seiten wieder finden.“ Doch was nennt er da als zentralen Erfolg für die CDU-Seite? Dass das Straßenausbaubeitragsgesetz abgeschafft wird. Anwohnern, die nun nicht mehr für neue Bürgersteige und Straßen zur Kasse gebeten werden können, bringt das tatsächlich etwas – aber geschätzt drei von vier Berlinern dürften gar nicht gewusst haben, dass es so ein Gesetz überhaupt gibt.
Viel Wert legte Henkel auch darauf, dass die CDU erreicht habe, dass künftig Schulen und Eltern darüber entscheiden, ob bei ihnen jahrgangsübergreifend unterrichtet wird. Doch zumindest erste Schritte in diese Richtung hatte der scheidende SPD-Bildungssenator Jürgen Zöllner schon zu Jahresbeginn unternommen. Doch auch das war den Delegierten entweder nicht bewusst, oder sie wollten da erst gar nicht so genau hinschauen. Und der gescheiterte Anlauf, Religion wieder zum Pflichtfach zu machen? „Hier war, liebe Freunde, einfach nichts zu machen“, sagte Henkel entschuldigend, „nicht einmal eine kleine Geste gegenüber den Gläubigen dieser Stadt.“
Das ist schon eine Situation wie im Märchen von des Kaisers neuen Kleidern – einer hätte da mal aufstehen und sagen können, dass es das ja wohl allein nicht sein könne als Ausfluss einer CDU-Senatsbeteiligung. Doch wie im Märchen wollten alle glauben, dass das alles so großartig ist, um nicht dumm da zu stehen. Und danach fragen sowieso nicht.
Links neben dem Podium, auf dem ein Präsidium über dem Parteitag thront, steht ein kleiner Tisch, an dem eine Frau hinter einem Leitz-Ordner sitzt. Dort seien die „Wortmeldezettel“ abzugeben, sagte der Tagungspräsident, so denn einer was zu sagen hat. Es ist allerdings nicht so dass sich dort die Zettel stapeln. Genauer gesagt: Da liegt kein einziger Zettel. Und es kommt auch keiner mehr dazu. Parteiinterne Demokratie heißt eben auch, sein Recht auf freie Rede nicht wahrzunehmen. Und auch mal die Nationalhymne nicht zu singen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört