■ CDU-Parteitag: Die jungen Wilden sind zahm, das Profil ist irgendwo in der Koalition verlorengegangen. So bleibt nur eine Botschaft: Kohl: Wenn der Kanzlerwahlverein tagt
Wenn die Delegierten morgen zum Bundesparteitag der CDU in Leipzig zusammenkommen, werden sie ihre Partei so vorfinden, wie sie früher einmal war und unter Kohl wieder geworden ist: als ein Kanzlerwahlverein. Das wäre aus Sicht der CDU ja auch nicht weiter schlimm. Auch anderswo verlieren Parteien, was sie einmal hatten: Profil, Programm und Milieu, Wähler und Mitglieder, überhaupt ihre einstige Kraft und Herrlichkeit.
Doch der Vergleich zu den 50er Jahren, als Kanzler Adenauer keine Partei brauchte, sondern eine Organisation, die ihm Wahlkampf machte, täuscht in mehrfacher Hinsicht. Heute steht die CDU schlechter da. Damals war sie eine Partei im Aufschwung – mit steigenden Erfolgskurven bei Wahlen. Als Honoratiorenpartei repräsentativ für große Teile der damaligen bürgerlichen Gesellschaft. Sie hatte zwar kein Programm, aber sie gab jener Zeit die Stichworte, Diagnosen und Perspektiven auf eine durchaus plausible und erfolgreiche Weise. Von „jungen Wilden“ war nicht die Rede, dafür waren sie weniger handzahm als heute. Es gab damals junge Politiker, die vor neuen Ideen nicht zurückschreckten und so die alte Adenauer-Partei entrümpelten. Deren Kopf und Motor war übrigens ein junger Ministerpräsident aus Rheinland-Pfalz.
Die CDU öffnete sich. Sie wurde langsam, aber sicher zu einer modernen Volkspartei. Das Ende der Ära Adenauer war ein Niedergang, der ein Aufbruch war.
I.
Davon kann gegenwärtig keine Rede sein. Wahlverein ja, etwas byzantinischer gewiß, aber auch etwas bescheidener. Das Wahlbarometer sinkt. Die alte Formel zur Macht (CDU/CSU + FDP) wird brüchig, und kein Koalitionspartner ist in Sicht, wenn die Fünfprozentpartei urplötzlich einmal unterwegs verlorengeht. Auf dem Altar der Koalitionsräson hat die CDU das eigene Profil geopfert. Sie verliert Mitglieder und auch gesellschaftliche Ausstrahlung. Der männliche vorzeitige Ruhestand umschreibt ihre soziale Struktur wie ihre mentale Verfassung. Verfügt sie wenigstens über eine politische Generation, die aus dem Ende einer langen Ära einen Neubeginn machen könnte? Ach, wenn sie doch geschwiegen hätten, die zahmen Wilden in der CDU – sie wären eine Hoffnung geblieben. Man hätte glauben können, sie gäben jetzt dem Kanzler, was des Kanzlers ist, Ruhe bis zur Wahl und nochmals Ruhe, und basteln derweil, so konspirativ wie ungeduldig, an neuen Entwürfen, mit denen sie dann eine staunende Partei und Öffentlichkeit überraschen. Die Themen liegen ja auf der Straße: von der Bildungs- bis zur Rentenreform; vom Umbau des Sozialstaates bis hin zum Wandel der Arbeitsgesellschaft.
Es gibt einzelne Stimmen, die auffallen: Der Vorsitzende der Jungen Union, Klaus Escher, mahnt, die CDU müsse „sich personell und vor allem konzeptionell erneuern“. Der saarländische CDU-Vorsitzende Müller orakelt gar, man gewinne „den Eindruck, daß es für die inhaltliche Erneuerung besser wäre, wenn wir die Wahl verlören“.
Sie sagen, was viele in der CDU denken. Eben deshalb ist die Reaktion vorhersehbar. Das Verschweigen dessen, was alle wissen, gehört zum Tabu. Wer es bricht, bedroht die gemeinsame Verdrängung und zieht Zorn auf sich. Da machen es andere „Hoffnungsträger“ schon besser. Sie üben sich in einer besonderen Disziplin: gegen den Strom zu schwimmen und sich von ihm doch ins Ziel tragen zu lassen. „Wir erleben ein so noch nie dagewesenes Versagen politischer Eliten vor den Anforderungen der Gegenwart“, kritisiert der CDU- Vorsitzende aus Niedersachsen, Wulff, rühmt die Verdienste des Kanzlers und läßt offen, ob er mit seiner Kritik den Premier in Israel oder den Gouverneur in Alabama meint.
Wer seine ganze Zivilcourage nur rhetorisch trägt, sieht jung an Jahren schon ziemlich alt aus. Wer wenig zu sagen hat, sollte vielleicht besser schweigen. Wohlfeile Appelle – „wir sollten wieder mehr auf Pflichten setzen“ (Wulff) – kommen anderen besser über die Lippen. Zu diesem Thema liegen anspruchsvolle Konzepte aus der politischen (Tony Blair) und der intellektuellen Debatte (Amitai Etzioni und die Kommunitarier) vor: Sie laufen auf eine „Gesellschaft der wechselseitigen Verpflichtungen“ hinaus, in der die einen, die Politiker beispielsweise und die ältere Generation, wissen und danach handeln, was sie der Zukunft der jungen Menschen schuldig sind und eben deshalb auch einen moralischen Anspruch an andere formulieren können.
Wenn sich eine Generation mit „sozialen Rechten und Ansprüchen“ gut versorgt hat, dann die jetzt mittlere und ältere Generation, der Mainstream einer Gesellschaft der Besitzstände. Von einem jungen Politiker wünscht man sich ein paar analytische Gedanken über diese Zusammenhänge und nicht das übliche Gejammere über Rechte und Pflichten.
II.
Über den Papst in Rom sagt man, sein Pontifikat werde weiter wirken als seine Amtszeit. Die Kirche werde lange brauchen, bis sie sich von den Folgen seiner Personalentscheidungen erholt und aus ihrem selbstgewählten Ghetto wieder herausgefunden habe. Wird man das eines Tages auch über das lange politische Pontifikat Helmut Kohls sagen? Während der Feiern der politischen Liturgie in Leipzig werden solche Fragen verdrängt werden. Aber nicht nur die „jungen Wilden“ in der CDU werden spätestens nach der Bundestagswahl zeigen müssen, was sie zu bieten haben. Zu viele haben zu lange andächtige Blicke zu ihm emporgesandt und ihren Ehrgeiz darauf konzentriert, ein Zeichen der Huld von ihm zu erhaschen.
Es gibt Ausnahmen, und es gibt vor allem welche, die dafür langsam zu alt werden, und solche, die dafür einfach zu jung sind. Auch wenn der Vorstoß von Wolfgang Schäuble, die Mineral- und die Mehrwertsteuer zu erhöhen und dafür die Lohnnebenkosten zu senken, kurzzeitig gescheitert ist – es war, inhaltlich wie politisch, ein Scheitern in die richtige Richtung und mit Zukunft. Schäuble und auch Rühe verkörpern eine andere Art, Politik zu machen.
Die SPD sollte sich nicht zu früh freuen. Ein Kanzlerwahlverein ist die CDU noch immer, und kein schlechter dazu. Danach ist alles drin: ein Kanzlerwechsel, ein Politikwechsel ohne Regierungswechsel, aber auch ein Regierungswechsel ohne Politikwechsel. Schöne Aussichten. Warnfried Dettling
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