CCC-Kongress 2015 in Hamburg: Hacker wollen Diskriminierung hacken

Der Jahreskongress des Chaos Computer Clubs behandelt „Gated Communities“ – Ausschlüsse und Teilhabe auf technischer und sozialer Ebene.

Das Kongresszentrum in Hamburg, erleuchtet bei Nacht

Der CCC (Chaos Computer Club) trifft sich im CCH (Congress Centrum Hamburg). Foto: dpa

Hamburg taz | „Wir müssen arme Menschen nicht als gefährdet, sondern als fähig ansehen“, steht auf Miguel Chaves‘ erster Folie. Der Brasilianer erzählt, wie er mit Kollegen in einer Favela in São Paulo einen Maker Space eröffnete: eine offene Werkstatt, in der die Bewohner der Siedlung Werkzeug benutzen oder ausleihen können oder sich in Workshops weiterbilden.

Die Werkstatt bauten Chaves und seine Kollegen in einer Garage auf, die zunächst leer war und den Wünschen der Anwohner entsprechend gefüllt wurde. „Wären wir hergekommen und hätten einfach mal mit 3D-Drucken angefangen, wäre das wohl ziemlich schief gegangen“, sagt Chaves. Stattdessen gibt es jetzt Nähkurse, ein freies Radio und Taschenlampen, die aus Flaschenhälsen gebaut werden.

Beim diesjährigen Chaos Communication Congress in Hamburg, dem Jahrestreffen des Chaos Computer Club (CCC), geht es um „Gated Communitys“: wie Menschen vom Zugang zu Technik ausgeschlossen werden – und so von der Teilhabe an der Gesellschaft. „Wir Hacker haben da manchmal einen etwas verengten Blick“, sagt Sprecher Linus Neumann bei der Eröffnung und präsentiert eine Überraschungsrednerin: die somalische Geflüchtete und Menschenrechtlerin Fatuma Musa Afrah. Eine schwarze Rednerin mit Kopftuch vor einem überwiegend weißen, männlichen Publikum illustriert eindrücklich, dass auch die Tore der Hackercommunity nicht ganz so offen sind.

Immerhin ein wenig Ausgrenzung erfuhr die Community am eigenen Leibe: Wegen des wachsenden Interesses waren Kongresstickets schon im Vorverkauf vergriffen. Tagestickets sind schon vor Beginn der Veranstaltungen ausverkauft. Auf dem CCC-Jahresrückblick witzeln die Sprecher: „Uns wurde vorgeschlagen, dass wir doch ein eigenes, größeres Kongresszentrum bauen könnten.“ – „Vielleicht sponsort uns ja Lego ein paar Steine, und wir können es aus Lego bauen.“

Auf dem Kongress gibt es Vorträge aus dem Standardrepertoire der Community: die Abschaffung der Netzneutralität, was zur Folge hätte, dass Großkonzerne schneller ihre Daten verschicken könnten als ein Normalnutzer; Vorratsdatenspeicherung gepaart mit den vielen Fällen, in denen gespeicherte Personendaten geklaut wurden oder Zensur. Der Tonfall ist manchmal spöttisch – wenn es um Journalisten geht, die ihre Passwörter sichtbar in Redaktionen aufhängen – und häufig verzeifelt – wenn es um die Inkompetenz von Politikern geht.

Aber Ausgrenzung ist nicht nur eine Frage der Technik. Das diesjährige Motto soll hervorheben, dass Hacker auch sozial denken. Beispielsweise durch Projekte wie Miguel Chaves‘ offene Werkstatt. „Gebt uns mehr Internet in den Heimen“, sagt Fatuma Musa Afrah in ihrer Eröffnungsrede. Hacker haben sich in den vergangenen Monaten darum bemüht, Flüchtlingsunterkünfte zu vernetzen, mit Geld und Sachspenden – 20 Paletten mit Computern und Monitoren seien bei einer einzigen Veranstaltung zusammengekommen –, aber auch indem sie selbst Hand anlegten.

In den abgeschnittenen Flüchtlingsheimen betreiben Aktivisten bereits in vielen Städten offene WLAN-Netze, durch die jede Person ins Internet kann. Die zahlreichen Freifunkgruppen bundesweit haben mehr als 200 Einrichtungen an das Internet angeschlossen, heißt es vom Förderverein Freie Netzwerke. „Und das ist vermutlich noch tiefgestapelt“, sagt Vorstand Monic Meisel. „Wir sammeln noch die genauen Daten.“ Mit dem Engagement der Freifunker wachse das Verständnis in der Bevölkerung, dass freie Netze nicht nur etwas für Touristen seien, sondern ein Grundbedürfnis. „Da sind neben Flüchtlingen auch andere Bevölkerungsgruppen benachteiligt“, so Meisel.

Dass Datensparsamkeit und der deutsche Argwohn gegen staatliches Datensammeln auch seine Nachteile haben kann, ist die These des Vortrags von Sozialwissenschaftler Jeff Deutch. Im Vergleich zu Großbritannien sei es in Deutschland viel schwerer nachzuweisen, dass Racial Profiling – also dass Nicht-Weiße Menschen häufiger von der Polizei kontrolliert werden – existiert. Der Grund: Anders als in Großbritannien werden keine Daten zu Race oder ethnischer Herkunft der Kontrollierten erhoben. „Dass es keine Rasse gibt, heißt nicht, dass es keinen Rassismus gibt“, sagt Deutch. „Aber in Deutschland haben wir keine Möglichkeit Trends zu erforschen.“

Prominent hängen auf dem Kongress Antifa- und „Refugees Welcome“-Banner, an Basteltischen finden sich Bastler und Programmierer zusammen und bauen. „All Creatures Welcome“ steht auf Stickern – Werbung für eine Doku über das Hackercamp im Sommer. Manchmal ist die Offenheit schon Realität, manchmal ist sie das vorgegebene Ziel.

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