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■ BunsenbrennerEin Plädoyer

Mit dem Präsidentschaftskandidaten Jens Reich ist die Kampagne Pro-Gen ab sofort um einen Protagonisten der Gentechnik reicher. Wir kriegen die Welt mit der Gentechnik in den Griff, lautet das Credo eines von ihm verfaßten Diskussionsbeitrags in der Wochenzeitung Die Zeit. Die Verheißungen betreffen vor allem den Menschen selbst: ein Leben ohne Aids, Krebs und (Erb-)Krankheiten. Dabei stellt der Biochemiker Reich sogar das Embryonenschutzgesetz zur Disposition, das in Deutschland die gentechnische Manipulation menschlicher Embryonen untersagt.

Nach Reich betreibt die Natur schon seit Milliarden Jahren Gentransfer und Genmanipulation, und „wir überschreiten keineswegs eine heilige Grenze, wenn wir es ihr nachtun“.

Ebenso setzt er die vom Menschen beeinflußte „Züchtung und Auslese von Haustieren und Getreidesorten“ mit der gentechnischen Manipulation gleich. Das ist – wenn auch noch so häufig kolportiert – sachlich falsch. Denn bei der Züchtung werden ganze Chromosomensätze der Eltern miteinander vermischt. Bei der Gentechnik hingegen werden einzelne Gene – oft über Artgrenzen hinweg – in das Erbgut eines Embryos eingeschleust.

Reich bemüht die „ungezielte, blinde Zerstörung durch Röntgenstrahlen für genetische Versuche“, um ihr die „genomischen Textänderungen“ durch Gentechnik entgegenzusetzen. „Ein Gen ist also ein Text und das Genom die ganze Textsammlung!“ Der Vergleich hinkt. Worin Jens Reich quasi die Aufforderung zum Umschreiben und Neuschreiben des Erbguts sieht, erkennt die Biologin Christine von Weizsäcker Grenzen: Sie verweist auf die Möglichkeit fundamentaler Sinnentstellung durch das Weglassen oder Hinzufügen eines Wortes.

Genausowenig können die Manipulationen vorab als „lebensverträglich“ und „rückholbar“ gelten, wie Reich es postuliert. Denn bei der Gentechnik als Prototyp empirischer Forschung gilt: Schlau ist man immer erst hinterher.

Warum nun dieses grenzenlose Plädoyer für die Gentechnik? „Ich halte es nach heutigem Kenntnisstand für aussichtslos, die Krebserkrankung in den Griff zu bekommen, an der mittlerweile fast jeder zweite Mensch in unseren Breiten stirbt ... Wie wollen wir ohne Manipulation diese Krebsgene wieder ausschalten?“ Die Gentechniker wollen die Welt in den Griff bekommen nach dem Motto: Große Probleme können nur durch immer gewaltigere und folgenschwerere Eingriffe ins Erbgut gelöst werden. Das klingt nach Weltformel – schafft aber die Probleme von übermorgen. Schadensbegrenzung statt Ursachenvermeidung. Verlockend ist sie, diese schöne neue Welt der Gene. Verspricht sie doch vor allem eines: daß wir so weitermachen können wie bisher. Anita Idel

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