: Bun(d)t bedroht
■ Das Thomas-Weissbecker-Haus protestiert gegen eine Pachtverdreifachung. Sozialverwaltung als Wendegewinner
Das Jugendwohnprojekt „Thomas-Weissbecker-Haus“ in der Kreuzberger Wilhelmstraße ist durch eine Pachterhöhung in der Existenz bedroht. Ende Dezember 1996 kündigte die Sozialverwaltung, der das landeseigene Grundstück zugeordnet ist, eine Verdreifachung der Jahrespacht an. „Das monatliche Nutzungsentgeld pro Bewohner würde dadurch von 330 auf 670 Mark steigen“, ärgert sich Bettina, Mitarbeiterin des Trägervereins Sozialpädagogische Sondermaßnahmen Berlin (SSB). 80 Prozent der 40 meist jungen Bewohner leben schon jetzt von Sozialhilfe und Arbeitslosenunterstützung.
Das „Tommy-Haus“ war im März 1973 als eines der ersten Häuser in Berlin von Jugendlichen und Arbeitslosen besetzt worden. Jahrelang wurden sie geduldet, bis 1982 das Land Berlin mit dem Trägerverein SSB einen Erbbauvertrag über 25 Jahre abschloß. Anschließend sanierten die BewohnerInnen ihr Haus in Selbsthilfe mit finanzieller Unterstützung des Landes. Das für junge Trebegänger offene, selbstverwaltete Haus war scheinbar langfristig gesichert. In angegliederten Arbeitskollektiven, etwa der KFZ-Schlosserei, bietet der SSB den BewohnerInnen die Möglichkeit zur Ausbildung.
Doch dann fiel dem „Tommy- Haus“ die Mauer in den Rücken. Nach der Wiedervereinigung gehört die Wilhelmstraße plötzlich nicht mehr zur Kreuzberger Randlage, sondern zum unmittelbaren Umfeld des Regierungsviertels. Schräg gegenüber wurde die Bundeszentrale der SPD aus dem Boden gestampft, die Brache auf der anderen Straßenseite sei als Bauplatz für ein „Haus der Industrieverbände“ auserkoren, berichtet Bettina. „Da ist klar, daß das bunte Haus mit den bunten Leuten nicht mehr gern gesehen wird“, meint Bettina und befürchtet eine Vertreibung.
„Eine Säuberungspolitik wird von uns absolut nicht betrieben“, entgegnet Dagmar Ulrich, Sprecherin der Sozialverwaltung. Unter dem Zwang der Haushaltslage sei man aber gezwungen, alle Einnahmemöglichkeiten zu nutzen. Der Grundstückswert, der dem Pachtzins zugrunde liegt, sei seit der Wiedervereinigung gestiegen. Zwar bemühe sich die Sozialverwaltung um eine verträgliche Lösung, versichert Ulrich, fügt aber gleich hinzu, daß soziale Gesichtspunkte bei der Pachtfestlegung bereits berücksichtigt seien.
„Der Senat verhält sich wie jeder Immobilienspekulant“, ärgert sich Tommi, letzter der ursprünglichen Besetzer im Haus. Schließlich sei „keine müde Mark“ zusätzlich ins Haus gesteckt worden. Zudem sei das ganze ein Nullsummenspiel. Der Bezirk müsse für weitere Sozialhilfezahlungen tiefer in die Tasche greifen. Tommi befürchtet aber, daß dem Sozialamt die Mietsteigerung zu hoch werden könne. Dann stünde das Projekt endgültig vor dem Aus. Gereon Asmuth
„Weg von der Straße“, ein Dokvideo über das „Tommy-Haus“ läuft heute sowie am 25. und 29.1 um 19 Uhr im Lichtblick, Wolliner Str. 19
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