Bundesweite T-Mobile-Panne: Exkommuniziert
Kein Anruf und auch kein Anschluss: Am Dienstagabend klingelte bei T-Mobile-Kunden nichts mehr. Über Vorteile und Grenzen der Unverbindlichkeit.
"Herr Müller, unterwegs auf der A8 von München nach Ulm wird gebeten, zu Hause bei seiner Familie in Frankfurt anzurufen." Früher geschah es häufiger, dass im Radio ein solcher Reiseruf ausgestrahlt wurde. Der klang dann meistens wie eine dringende Verkehrsmeldung und Herr Müller fuhr wahrscheinlich an der nächsten Raststätte von der Autobahn ab und warf seine Münzen ins Telefon oder steckte die Telefonkarte hinein. Selbstverständlich, dass dieser Herr Müller dann auch die Nummer vom heimischen Anschluss auswendig kannte und so auch für diesen nun eintretenden Notfall gewappnet war. Denn nur in diesem ist der Reiseruf zulässig.
Gerne hätte am Dienstagnachmittag der eine oder andere verzweifelte Handynutzer eine solche Meldung abgegeben, denn das Netz des Mobilfunkbetreibers T-Mobile lag darnieder. Zwischen 16 und 20 Uhr waren die meisten der etwa 40 Millionen T-Mobile-Kunden nicht mehr erreichbar. Drei Server, die Kundendaten den SIM-Karten zuweisen sollten, fielen mysteriöserweise aus. Kein Anruf kam rein, kein Anruf raus. Und SMS gingen auch nicht. Da konnte man noch so nervös sehnsüchtig am iPhone rumfingern, es tat sich nichts. Wahrscheinlich aber, dass die erwünschten Botschaften eh nicht nach wirklichen Notfällen klangen, sondern eher so: "Mami, ich stehe vor Pimkie, wo bist du?"
Die von Mobilfunkunternehmen beworbene und von uns Kunden gerne aufgenommene flüchtige, ja gar spontane Lebensweise war plötzlich angreifbar. Die nämlich, in der eine verbindliche Verabredung hieß, sich nicht um Punkt, sondern immer nur gegen zwei Uhr zu verabreden. Und nicht hier, sondern in der Gegend von. Weitere Absprachen folgen schließlich zeitnah. Schlimme Zustände? Mitnichten! Denn: Früher, also noch bevor die Telekom Bundespost hieß und ein Monopol auf Kommunikation hielt, gab es auch ein Früher. Und damals bestimmten ganz andere den Takt der Zeit. Bevor jeder eine Uhr hatte, war man auf das Läuten des Kirchturms angewiesen. Auch keine schöne Abhängigkeit von der Institution Kirche. So ändern sich die Gewohnheiten zu mehr Unabhängigkeit.
Zwei größtmögliche Pannen gibt es bei Mobilfunkbetreibern: Das, was gerade passierte, nämlich dass das Netz gar nicht funktioniert. Und dass die Nummern falsch zugeordnet sind. In beiden Fällen bricht zwar nicht die öffentliche Ordnung zusammen, sondern eher die innere Gefühlslage. Man fühlt sich exkommuniziert.
Wer als Handyverweigerer nun schadenfreudig wird, sei an andere Ausfälle erinnert, die eine ähnlich verwirrte Stimmung hervorriefen. Ende Oktober, die Finanzkrise entfaltete sich gerade erst, gab es eine Störung im Rechenzentrum des Bundesverbands deutscher Banken. Weder konnte man Geld abheben noch mit EC-Karte zahlen. Im Sommer, während des Halbfinals zwischen Deutschland und der Türkei bei der EM im letzten Jahr, fiel plötzlich das Bild aus. Ein Unwetter in Österreich war schuld. Eilig wurde das Bild des Schweizer Fernsehens eingeholt, das nämlich war nicht betroffen.
In dieser Hinsicht ähnelt das Geld dem Live-TV und das wiederum dem Handy: Man weiß, dass das Leben da draußen weitergeht, und man hat dennoch keine Möglichkeit, mitzumachen. Deutschland gewann das Spiel durch ein Tor von Philipp Lahm, in der 90. Minute. Dass nicht alle Mobilfunkkunden betroffen waren, zeigt, welche Vorzüge sich aus der Abschaffung von Monopolen ergeben. Zur Not konnte man sich ein Gespräch erschnorren, da die anderen Netze funktionierten. So blieben auch die meisten Betroffenen eher gelassen. Im Grunde zeigen solche Ausfälle zwar, wie abhängig unsere Gesellschaft geworden ist, aber auch, wie wenig das wirklich ausmacht. So konnte zwar der Pressesprecher des Bundesfinanzministeriums nicht erreicht werden, die Wirtschaftskrise jedoch weitete sich deswegen sicherlich nicht aus. Schlimm war der Vorfall somit nicht für die Kunden, er war peinlich für die Telekom, die nun Schadenersatzforderungen ablehnt.
Die Zahl der Reiserufe fällt übrigens nach Angaben des ADAC, der sie zusammen mit dem Hessischen Rundfunkt koordiniert, seit Jahren stark. Eine Einstellung des Dienstes ist trotzdem nicht geplant, schließlich gibt es noch immer Menschen, die nicht per Mobiltelefon erreichbar sind. Weil sie es verloren haben, der Akku leer lief, oder sie schlicht keins besitzen möchten. Eine eher unpraktische Einstellung zum Leben, aber eine sehr souveräne.
Schlimm war der Vorfall nicht für die Kunden, er war peinlich für die Telekom
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