Bundeswehr in Afghanistan: "Verdacht eines Kriegsverbrechens"
Falls die deutsche Justiz im Falle von Oberst Klein untätig bliebe, wäre der Oberst ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag – sagt Professor Kai Ambos.
taz: Handeln deutsche Soldaten in Afghanistan im rechtsfreien Raum?
Kai Ambos: Nein, natürlich nicht.
Franz-Josef Jung hat bei seinem Abschied als Verteidigungsminister gesagt, Soldaten, die im Auftrag Deutschlands im Ausland tätig sind, dürften nicht mit staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen konfrontiert werden...
Kai Ambos (44) ist Professor für deutsches und internationales Strafrecht an der Uni Göttingen. Er war als Wissenschaftler an der Entstehung des deutschen Völkerstrafgesetzbuchs beteiligt.
Das ist abwegig. Regeln für kriegerische Auseinandersetzungen gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert sind sie sogar mehr und mehr zugunsten der Zivilbevölkerung ausgebaut worden.
Der deutsche Oberst Klein hat in Afganistan die Bombardierung von zwei Tanklastern befohlen, die von den Taliban entführt worden waren. Bei dem Bombardement kamen auch Dutzende Zivilisten zu Tode. An welchem rechtlichen Maßstab ist sein Verhalten zu messen?
Strafrechtlicher Maßstab ist vor allem das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das 2002 in Kraft getreten ist. Dort ist als Kriegsverbrechen auch der Einsatz unverhältnismäßiger militärischer Gewalt unter Strafe gestellt. Wenn dabei Menschen zu Tode kommen, droht eine Strafe nicht unter fünf Jahren.
Was ist hier konkret zu prüfen?
Ein militärischer Angriff darf nicht durchgeführt werden, wenn als sicher erwartet wird, dass dabei Zivilpersonen in einem Ausmaß geschädigt werden, das außer Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil steht. So genannte Kollateralschäden dürfen auch bei militärischen Kampfhandlungen nur in begrenztem Maße in Kauf genommen werden.
Man muss also die erwarteten zivilen Schäden mit dem erwarteten Vorteil vergleichen - wie soll das gehen?
Das ist natürlich sehr schwierig, weil sozusagen Äpfel mit Birnen verglichen werden. Wieviele zivile Menschenleben ist ein zerstörter Tanklaster wert, der als rollende Bombe eingesetzt werden könnte? Strafbar kann deshalb nur ein offensichtliches Mißverhältnis sein. Daraus sollte aber niemand den Schluss ziehen, dass Soldaten machen können, was sie wollen.
War mit der Bombardierung der entführten Tanklaster ein großer militärischer Vorteil zu erwarten?
Auf den ersten Blick wohl kaum. Soweit bekannt, steckten die Tanklaster ja im Fluss fest. Zum Zeitpunkt der Bombardierung stellten sie also keine konkrete Gefahr dar.
Durch die Nato-Bomben sollen auch Taliban-Kommandeure umgekommen sein...
Das könnte als militärischer Vorteil gewertet werden. Dies würde auch erklären, warum Oberst Klein es abgelehnt hat, die umstehenden Personen mit einem demonstrativen Überflug vor der bevorstehenden Bombardierung der Tanklaster zu warnen. Bisher hat die Bundeswehr aber nicht so argumentiert.
Unter den Getöteten waren neben Taliban-Kämpfern auch Bauern der umliegenden Dörfer. Gelten diese auch dann als Zivilpersonen, falls sie mit den Taliban sympathisiert haben?
Auf ihre Gesinnung kommt es nicht an. In Afghanistan liegt ein nicht-internationaler bewaffneter Konflikt vor, bei dem die afghanische Regierung - unterstützt von der ISAF-Trupppe - auf der einen Seite steht und die aufständischen Taliban auf der anderne Seite. Auf Seiten der Taliban dürfen nur de facto-Kombattanten, also bewaffnete Kämpfer, angegriffen und getötet werden. Bauern, die nur neugierig herumstehen oder Benzin zapfen, sind keine bewaffneten Kämpfer und gelten deshalb als geschützte Zivilpersonen.
Die afghanische Quelle, die Oberst Klein vor seinem Befehl den Schauplatz schilderte, sagte, es seien nur "regierungsfeindliche Kräfte" zu sehen...
Auf die Einstellung der Bauern zur Regierung kommt es nicht an. Hier hätte Oberst Klein unbedingt zurückfragen müssen, wie das Verhältnis von bewaffneten Kämpfern und unbewaffneten Zivilisten war. Als Kommandeur darf er nicht nur an das Wohl seiner Soldaten denken, völkerrechtlich ist er auch Garant für Leib und Leben der betroffenen Zivilbevölkerung.
Wenn sich also ergibt, dass der geringe militärische Nutzen die vielen zivilen Todesopfer nicht rechtfertigen kann, muss Oberst Klein dann ins Gefängnis?
Nicht so schnell! Strafbar wäre sein Verhalten nur, wenn er das Mißverhältnis im Zeitpunkt des Befehls sicher erwartet hat. Das wird ihm nur schwer nachzuweisen sein. Man kann ja nicht aus den tatsächlichen eingetretenen Folgen automatisch auf ein entsprechendes Bewusstsein bei der Befehlserteilung schließen.
Im jetzt vorgelegten Nato-Untersuchungsbericht soll es heißen, dass Oberst Klein die Bombardierung eigenmächtig angeordnet hat...
Für die Strafbarkeit als Kriegsverbrechen kommt es auf einen solchen Verstoß gegen die Einsatzregeln nicht an. Es könnte jedoch disziplinarrechtlich zu ahnden sein, wenn der Oberst eine unmittelbare Bedrohung deutscher Truppen vorgetäuscht hat, um die Nato-Bomber ohne Rücksprache anfordern zu können.
Derzeit prüft die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden, ob gegen Oberst Klein ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist. Was empfehlen Sie?
Ein Ermittlungsverfahren halte ich für dringend erforderlich. Wenn - wie hier - der Anfangsverdacht eines Kriegsverbrechens besteht, muss der Vorgang gründlich geprüft werden. Zuständig ist hierfür allerdings die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.
Warum?
Weil der Gesetzgeber für das Völkerstrafgesetzbuch aus guten Gründen diese Sonderzuständigkeit angeordnet hat.
Warum spielt das Völkerstrafgesetzbuch bisher in der öffentlichen Diskussion so eine geringe Rolle?
Bei bisherigen Ermittlungsverfahren gegen deutsche Soldaten, die in Afghanistan Zivilisten getötet haben, ging es um die Abwehr von echten oder scheinbaren Angriffen und damit um Notwehr. Da konnte eine
Strafbarkeit also mit allgemeinen strafrechtlichen Überlegungen abgelehnt werden. Im Fall der Tanklaster von Kundus lag aber kein Angriff auf die Bundeswehr vor. Vielmehr war diese im Rahmen der ISAF-Truppe der Angreifer und deshalb stellt sich die rechtliche Situation grundlegend anders dar.
Setzt die Annahme eines Kriegsverbrechen einen Krieg voraus?
Nein, der Begriff ist missverständlich. Voraussetzung ist nicht mehr ein Krieg zwischen zwei Staaten, vielmehr genügt bereits seit Jahrzehnten ein bewaffneter Konflikt. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch setzt diese völkerrechtliche Rechtslage um.
Stellt die Situation in Afghanistan einen bewaffneten Konflikt dar?
Das kann wohl niemand ernsthaft bestreiten. Völkerrechtlich gilt jede länger anhaltende militärische Auseinandersetzung zwischen mindestens zwei Streitparteien, die über vereinzelte Anschläge oder Scharmützel hinausgeht, als bewaffneter Konflikt.
Die Bundeswehr hat bisher den Begriff "bewaffneter Konflikt" vermieden...
Der Sprachgebrauch der Beteiligten ist irrelevant. Völker- und strafrechtlich wird die Lage nach objektiven Kriterien bewertet. Im übrigen ist es ja sogar günstig für die Bundeswehr, wenn die Lage in Afghanistan als bewaffneter Konflikt eingestuft wird. Sonst dürften die Soldaten - außerhalb von Notwehrlagen - gar keine gegnerischen Kämpfer wie Taliban töten und müssten schon deshalb mit strafrechtlichen Ermittlungen rechnen.
Realistisch ist angesichts des politischen Drucks derzeit aber eher, dass es gar kein Ermittlungsverfahren gegen Oberst Klein gibt...
Das würde unser internationales Ansehen sehr beschädigen. Deutschland setzt sich seit Jahren verstärkt für die strafrechtliche Ahndung internationaler Verbrechen ein. Das darf dann aber nicht nur für die anderen gelten, etwa in Ländern wie Kolumbien oder Kongo. Wie sollen wir denn glaubwürdig weiter für die Verfolgung solcher Verbrechen eintreten, falls gleich beim ersten Mal, wenn deutsche Soldaten in den Verdacht von Kriegsverbrechen geraten, alles unter den Teppich gekehrt wird?
Wie könnte die internationale Gemeinschaft reagieren, wenn es keine Ermittlungen in Deutschland gibt?
Sollte sich die deutsche Justiz als unwillig erweisen, das deutsche Völkerstrafgesetzbuch anzuwenden, müsste Oberst Klein ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag werden. Der dortige Ankläger Luis Moreno-Ocampo könnte den Fall von sich aus aufgreifen. Außerdem bin ich mir sicher, dass entsprechende Strafanzeigen schon vorbereitet werden.
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