Bundeswehr im Innern: SPD spielt Schiffeversenken
Die SPD sperrt sich gegen den Bundeswehr-Einsatz im Innern. Nur gegen Terroristen in Schiffen und Flugzeugen sollen Soldaten vorgehen dürfen. Die Union schmollt.
Die SPD will Soldaten in Deutschland nur in Ausnahmefällen einsetzen. Das hat eine Arbeitsgruppe der Sozialdemokraten beschlossen. "Terrorismus ist zunächst einmal Kriminalität und damit prinzipiell Aufgabe der Polizei", sagte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, am Dienstag der taz. "Eine unnötige Militarisierung der Innenpolitik gibt es mit uns nicht."
Damit ist eine Einigung mit der Union bis Herbst 2009 wohl vom Tisch. Ohne diese gibt es aber weder im Bundestag noch im Bundesrat die für eine entsprechende Grundgesetzänderung nötige Zweidrittelmehrheit. Dabei hatten sich die Spitzen von SPD und Union im Oktober eigentlich schon auf eine Änderung verständigt. Damals beschloss der Koalitionsausschuss, die Bundeswehr solle "zur Abwehr besonders schwerer Unglücksfälle" der Polizei mit militärischen Mitteln helfen dürfen.
Diese äußerst unklare Formulierung hatte Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit Justizministerin Brigitte Zypries und Fraktionschef Peter Struck (beide SPD) in einem bemerkenswerten Alleingang an der eigenen Fraktion vorbei verhandelt. Diese hatte umgehend klargestellt, dass sie mehrheitlich einen solch weit gefassten Armeeeinsatz ablehne.
Insbesondere der linke Flügel der Partei hatte auf eine Rücknahme des Kompromisses gedrängt. Deren Vertreter äußerten sich am Dienstag zufrieden. "Wichtig war, den schwammigen Rechtsbegriff nicht ins Grundgesetz kommen zu lassen", kommentierte der Sprecher der Partei-Linken, Björn Böhning, das Ergebnis der Arbeitsgruppe.
In zwei Ausnahmefälle wäre die SPD jedoch bereit, der Bundeswehr im Inland künftig größeren Spielraum einzuräumen. Und zwar, wenn Terroristen einen Angriff per Schiff oder per Flugzeug unternehmen. Ein Einsatz wäre dann aber weiteren Bedingungen unterworfen. So müsste klar sein, dass der Anschlag unmittelbar bevorsteht, das betroffene Bundesland um Hilfe ersucht und sich keine unschuldigen Menschen an Bord befinden. Im Klartext heißt das: Die Regelung würde in der Praxis nur für Ausnahmefälle gelten, in denen etwa ein Flugzeug ausschließlich mit Terroristen besetzt oder von ihnen ferngesteuert ist. "Bundeswehrjets könnten aber auch versuchen, ein Terror-Flugzeug abzudrängen, wenn es mit Passagieren besetzt ist", erklärt Sebastian Edathy (SPD), Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag. Deshalb könne ein Armeeeinsatz in Ausnahmefällen sinnvoll sein. "Mit der Union wollen wir uns natürlich noch immer einigen", so Edathy weiter. "Allerdings auf Grundlage unseres Vorschlags." Bei der Union sieht man das anders. "Die SPD kann sich wieder melden, wenn sie den Vorschlag ihres eigenen Kanzlerkandidaten ernst nimmt", sagt der Innenexperte Hans-Peter Uhl (CDU). "Nur auf diesem Fundament ist ein gemeinsamer Beschluss möglich." Andere Unionspolitiker kritisierten die SPD noch schärfer.
Gut möglich, dass das Thema im Bundestagswahlkampf eine Rolle spielen wird. Während Innenexperten wie Edathy und Uhl davon abraten, wollen Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) und die SPD-Linke den Streit für ihre Kampagnen nutzen. "Dass die Union die Bundeswehr im Innern salonfähig machen will, sollten wir sehr wohl thematisieren", fordert Böhning.
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