Bundestagswahlkampf: Piraten mit Wachstumsschmerzen
Die junge Piratenpartei will eigentlich keine Partei sein. Im Wahlkampf setzt sie auf Basisdemokratie und bunte Aktionen. Sie hat im Moment vor allem ein Problem: den eigenen Erfolg.
Ein kleines Problem gab es dann doch noch mit dem Wahlspot der Piratenpartei: Der Film, in dem hübsch animiert bunte Segel auf dem Reichstag gesetzt werden, kritisiert das Urheberrecht und wirbt für freie Lizenzen. Unter die Bilder hatte der Regisseur ein Stück gelegt, in dem ein Thema des Films "Mary Poppins" auftaucht, dem Klassiker des Disney-Konzerns - der eine ganz andere Auffassung von Lizenzrecht hat als die Verfechter des freien Informationszugangs. In letzter Minute legten die Piraten eine andere Melodie unter den Spot.
Am Donnerstag hat die Partei bei ihrem offiziellen Wahlkampfauftakt den Werbefilm und Plakate vorgestellt - und einen Ausblick auf die nächsten Wochen aus Piratensicht gegeben. Im Moment hat die junge Partei vor allem das Problem, ihren eigenen Erfolg zu organisieren. "Jede Menge Leute wollen sich aus rein idealistischen Motiven heraus engagieren", sagt Aaron Koenig, Mitglied des Bundesvorstandes.
Tatsächlich explodierten in den vergangenen Monaten die Mitgliederzahlen. Ende Januar zählten die Piraten bundesweit 700 Mitglieder, Ende Juni gut 2.000 und Anfang August schon über 4.800. Was manchmal zu "Wachstumsschmerzen" führt, wie es einer aus dem Vorstand sagt: Beispielsweise wenn zwei Gruppen Community-Plattformen entwickeln - ohne sich miteinander abzusprechen.
Was die Sache noch kompliziert: Die Partei will eigentlich keine Partei sein. Sie ist basisdemokratisch organisiert, in Stadtteilen arbeiten Kleingruppen, so genannte Crews, zusammen, der Werbespot wurde unter einem guten Dutzend im Netz demokratisch zum besten gekürt. Sie wird in den nächsten Wochen vor allem auf bunte Aktionsformen setzen. Mit einem selbst gebauten Floß mit schwarzer Flagge schipperten die Aktivisten bereits über die Spree, jetzt haben sie ein Segelboot neu akquiriert.
Die Crews veranstalten Kiezspaziergänge - man könnte es konventionell Straßenwahlkampf nennen -, die Piraten sind zudem Mitveranstalter einer Großdemonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung Mitte September. Gegen diese und gegen Internetsperren will die Partei weiter stark mobilisieren: "In Deutschland werden Grundrechte in einer Salami-Taktik immer weiter abgebaut", sagt Koenig. "Und die Politik ist hier beratungsresistent."
Von diesem Focus lebt die Partei. "Die Piraten besetzen ein Thema, das andere Parteien stiefmütterlich oder gar nicht behandeln", sagt der Berliner Politologe Gero Neugebauer. "Für viele Politiker der normalen Parteien ist das Netz ein Tummelplatz für Pädophile oder Extremisten, für Piratenanhänger ist es eine zweite, wichtige Welt." So werde die Partei auch attraktiv für Menschen, die sich sonst nicht für Politik interessieren, sagt Neugebauer.
Ob sich das Phänomen dauerhaft halten werde, sei nicht vorherzusagen: "Das hängt auch davon ab, wie die die anderen Parteien die Bürgerrechte und Netzwelten integrieren," meint Neugebauer.
Die Piraten wollen ihr Themenspektrum bald erweitern, möglichst schon kurz nach der Bundestagswahl. Auf ihrem Parteitag im Juli schrieben sie sich die Forderung nach gebührenfreier Bildung ins Wahlprogramm, laut Vorstand Koenig arbeiten Arbeitsgruppen an Steuer-, Sozial- und Umweltpolitik.
Und auch das bedingungslose Grundeinkommen diskutieren die Piraten leidenschaftlich, die Idee ist kompatibel mit Freiheitstrieb einerseits und Überwachungsallergie andererseits. "Bis zur Wahl konzentrieren wir uns aber auf unsere Kernkompetenz Grundrechte und Meinungsfreiheit", sagt Vorstand Koenig. "Da haben die anderen Parteien schließlich auch die größten Defizite."
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