Bundestags-Ausschuss zur Plagiats-Debatte: Die dunkle Seite der Wissenschaft
Großer Druck und fehlende Kontrolle sind laut Experten die Hauptursachen für abgekupferte Doktorarbeiten. Sie fordern von Politikern mehr Geld.
BERLIN taz | Die Plagiatsfälle der Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg und Silvana Koch-Mehrin waren die Auslöser für eine öffentliche Debatte: Wie redlich ist die Wissenschaft? Und wie einfach ist es, sich den höchsten akademischen Grad – den Doktortitel – mit unsauberen Mitteln zu erschleichen?
Diesen Fragen ging am Mittwoch der Bildungsausschuss des Bundestages nach. Dort sollte außerdem erörtert werden, wie man diesem Phänomen beikommen kann.
Zunächst erklärte einer der geladenen Experten, der Rechtsprofessor Wolfgang Löwer, warum dies nicht so einfach ist: "Wir haben keinen gesicherten Überblick, wie viel wissenschaftliches Fehlverhalten es gibt. Wir können nur von den Hellfeldern auf die Dunkelfelder schließen". Die "Hellfelder", das sind etwa die bekanntgewordenen Fälle.
Dass das unrechtmäßige Plagiieren laut Löwer aber "keineswegs ein neues Phänomen und auch nicht der einzige Brennpunkt ist", zeigt die Notwendigkeit, sich mit wissenschaftlichem Fehlverhalten zu befassen. Neben dem unerlaubten Abschreiben seien Datenmanipulationen, Bestechungen oder Ghostwriting – wenn ein Autor im Auftrag und Namen einer anderen Person schreibt – weitere Aspekte der dunklen Seite der Wissenschaft.
Druck des Publizierens
Stefan Hornbostel, Leiter des Instituts für Forschungsinformation und Qualitätssicherung und geladener Experte im Bildungsausschuss, sieht ein Kernproblem, das zu vielen dieser Fälle führe, in den Anreizsystemen innerhalb der Wissenschaft. So gehe es laut Hornbostel hauptsächlich um die Quantität der Veröffentlichungen und nicht um deren Qualität.
Damit wären Wissenschaftler dem Druck ausgesetzt, ständig publizieren zu müssen – manchmal eben ohne Rücksicht auf den Wahrheitsgehalt. Auch seine Kollegin, die Berliner Professorin Debora Weber-Wulff, forderte eine "Eindämmung der ausufernden Publikationslisten".
Um dies in die Tat umzusetzen, gehe es vor allem darum, "die finanzielle Grundausstattung zu verbessern, so dass der Druck, Drittmittel einzuwerben, weniger wird", wie die vierte Expertin in der Runde, Annette Schmidtmann von der deutschen Forschungsgemeinschaft, forderte. Damit könne dann laut Schmidtmann auch das Betreuungsverhältnis zwischen Professoren und Promovierenden verbessert werden – eine wichtige Voraussetzung für gutes und gründliches wissenschaftliches Arbeiten.
Denn wenn ein Professor mehr Zeit für seinen Promovierenden hat, dann kann er auch den Prozess ihrer Arbeit besser verfolgen und frühzeitig auf Fehlentwicklungen einwirken. "Es muss ein Klima entstehen, in dem Plagiate und sonstiges Fehlverhalten nicht mehr notwendig ist", fasste die Wissenschaftlerin zusammen.
Doch politische Maßnahmen alleine reichen nicht aus, da sind sich die vier Experten einig. "Es gibt keinen Königsweg zu guter wissenschaftlicher Praxis. Das Ziel zu erreichen verlangt Überzeugungskraft und finanzielle Ausstattung. Aber ohne die Eckpfeiler Beratung, Tranparenz und Kontrolle wird sich die Situation in Deutschland nicht verbessern lassen", sagte Weber-Wulff.
Kultur der Transparenz
Und dies sind Anforderungen, um die sich auch die Wissenschaftler selbst kümmern müssten. "An vielen Stellen ist es weniger ein organisatorisches Problem, als ein Transparenzproblem", sagte Hornbostel. Man müsse eine Kultur der Transparenz schaffen. Dazu könnten etwa die Veröffentlichung aller Promotionen beitragen oder das Prinzip des "Open Peer Review", also das öffentliche Kritisieren eines Werks.
Auch im Bereich der Kontrolle können die Unis laut den vier Wissenschaftlern noch einiges verbessern. So sollten etwa die Ombudspersonen, die ersten Ansprechpartner bei einem vermuteten wissenschaftlichen Fehlverhalten, gestärkt werden und aktiver für Qualitätssicherung eintreten können. Auch über den Einsatz sogenannter "Plagiats-Software", die Arbeiten automatisch auf abgekupferte Passagen überprüft, wurde diskutiert. Allerdings mahnten die Wissenschaftler an, dass der Einsatz solcher Programme geschicktes plagiieren auch nicht erkennen könnte.
Von der Politik forderten sie im diesem Kontext einheitliche rechtliche Grundlagen zur "Registrierung von Doktoranden, zur eidesstattlichen Versicherung über die Eigenleistung und zum Titelenzug bei Fehlverhalten." Diesbezüglich bestehe nämlich momentan an den Universitäten noch große Unsicherheit.
Allerdings warnten die vier Wissenschaftler im gleichen Atemzug – ganz in der Tradition der Dialektik – vor zu viel Kontrolle. "Der Wissenschaftsbetrieb lebt auch von gegenseitigem Vertrauen und von einer gewissen Freiheit", sagte Hornbostel. "Und das effektivste Element der wissenschaftlichen Qualitätssicherung ist der wissenschaftliche Diskurs selbst", ergänzte Schmidtmann. Übrigens: Die Abgeordneten im Ausschuss stellten interessiert Fragen, machten sich die meiste Zeit brav Notizen und tuschelten ab und zu, so dass sie von der Vorsitzenden per Handzeichen ermahnt werden mussten. Ganz wie ein ordentlicher Student also.
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