Bundestag debattiert Bafög-Erhöhung: Die Reform geht am Menschen vorbei
Der Bundestag plant eine deutliche Erhöhung des Bafögs. Doch die Neuerungen vernachlässigen einen wichtigen Punkt, sagt unsere betroffene Autorin.
Die Bafög-Sachbearbeiterin saß mir in dem engen Raum gegenüber. Ich packte all meine Existenzängste auf den Tisch. Ihr Rat an mich: „Sie können ja schwanger werden.“ Mit einem Augenzwinkern, als Scherz gemeint und dennoch fühlte ich mich missverstanden, nicht ernst genommen.
Der Bundestag debattiert am Donnerstag über die Bafög-Reform. CDU, CSU und SPD planen eine deutliche Erhöhung der Beitragssätze und der Wohnpauschale. Zudem sollen die Freibeträge der Eltern angehoben werden, sodass die Zahl der Berechtigten steigt. Eine Trendwende wird versprochen. Für mich bleibt das Grundproblem der Förderung jedoch bestehen: sie passt sich nicht dem Menschen an.
Ich beziehe seit fünf Jahren Bafög. Der jährliche Antrag mit zig Formblättern, das Offenlegen all meiner Finanzen und das stetige Aktualisieren der beruflichen Situation meiner Familienmitglieder beim Amt gehörten für mich von Anfang an zum Studieren dazu. Ebenso wie ein Nebenjob, denn allein von meinem Bafög kann ich, wie viele andere auch, nicht leben.
Mein Bafög hat mir jedoch stets Grenzen gesetzt. Bachelor in maximal sechs Semestern, Master in vier, Überziehen geht nicht, Studium abbrechen und ein neues anfangen auch nicht. Mit meiner Studienwahl hatte ich Glück, denn es war tatsächlich die richtige. Doch ein Zweifeln daran – das war nicht drin.
Was für mich bisher gut funktioniert hat, ist nicht selbstverständlich. Man kann von 18-jährigen Schulabgänger*innen nicht erwartet, eine Entscheidung zu treffen, die keine Alternativen zulässt. Es gibt viele Studiengänge, die es nur schwer zulassen, nebenbei zu arbeiten. Hinzu kommen Praktika, die erwartet werden und ehrenamtliches Engagement neben dem Studium. Und es gibt noch viele weitere gute Gründe, das Studium nicht in der Regelstudienzeit abzuschließen.
Ich bin nun in der Situation, dass ich meinen Master um ein Semester verlängern muss. Also wandte ich mich an die Beratung im Studentenwerk. Die Sachbearbeiterin eröffnete mir nach ihrem geschmacklosen Scherz zum Einstieg eine weitere ernüchternde Botschaft.
Mangel an Flexibilität
Eine Förderung über die Regelstudienzeit hinaus ist nur im Falle einer Krankheit, Schwangerschaft, Behinderung oder dem Mitwirken in einem gewählten Gremium der Hochschule oder der Selbstverwaltung der Studierenden möglich. Meine Praktika, Jobs und die Position als Chefredakteurin der Hochschulzeitung, auf die ich als Grund zur Verlängerung gebaut hatte, zählen alle nicht.
Deshalb kann ich nun die Studienabschlussförderung beantragen. Das ist ein zinsloses Darlehen vom Staat, über das am Donnerstag ebenfalls debattiert wird. Ich muss dennoch einen normalen Bafög-Antrag stellen, der, so die Aussage der Sachbearbeiterin, zu 99,9 Prozent abgelehnt wird. Erst mit dem Ablehnungsbescheid kann ich das Darlehen beantragen, wenn das nicht klappt, kann ich zum Amt gehen und Wohngeld beantragen. „Sie werden nicht auf der Straße stehen“, versprach mir die Mitarbeiterin des Studentenwerks zum Abschied.
Nachdem ich den Bürokratiedschungel durchquert und bei sämtlichen Ämtern war, werde ich das wohl nicht. Aber es wird mir, mal wieder, schwer gemacht, während meines Studiums nach links und rechts zu schauen.
Das System geht von einem Idealtypus aus: Studierende, die sofort wissen, was sie wollen, jedes Semester 30 Leistungspunkte belegen, am Wochenende jobben und dennoch die Zeit und die Kraft zum Lernen aufbringen, damit das Studium nicht verlängert werden muss. Bafög muss flexibler sein, sich nach denen richten, die es brauchen. Die Förderung muss besser mit Nebenjobs, Praktika und ehrenamtlichem Engagement vereinbar sein.
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