Bundestag beschließt Mindestlohn: Privatpost will Mini-Mindestlohn

Bundestag verabschiedet den Postmindestlohn. Prompt beantragt der Verband der privaten Zustelldienste einen "eigenen Mindestlohn" - 20 Prozent unter dem Postlohn.

Abstimmung über Mindestlohn am Freitag im Bundestag. Bild: dpa

Für kurze Zeit war gestern alles klar beim Mindestlohn. Gegen die Stimmen der FDP und weniger Unionsabgeordneter beschloss eine ganz große Koalition im Bundestag, dass Briefträger und andere Postdienstleister künftig mindestens 8 Euro pro Arbeitsstunde erhalten sollen. 466 von 552 anwesenden Abgeordneten waren dafür, auch die Grünen und die meisten Politiker der Linksfraktion.

Dann aber kam die Nachricht, die wieder alles in Frage stellen könnte: Mehrere Unternehmen, darunter die PIN AG des Springer-Konzerns, wollen einen niedrigeren Mindestlohn durchsetzen und haben einen entsprechenden Antrag bei Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) eingereicht.

Mit dem Beschluss des Bundestages werden die Briefdienstleister - die größte Firma unter ihnen ist die Deutsche Post AG - in das Entsendegesetz aufgenommen, das bislang bereits für die Baubranche und die Gebäudereiniger gilt. Beschäftigte, die Briefe sortieren, sollen in Ostdeutschland mindestens 8 Euro, im Westen 8,40 Euro erhalten. Briefträger bekämen dann 9 Euro im Osten und 9,80 im Westen. Auf diese Untergrenzen hatten sich der Arbeitgeberverband Postdienste, dem die Post AG angehört, und die Gewerkschaft Ver.di geeinigt. Die Mindestlöhne sollen für "allgemeinverbindlich" erklärt werden: Sie gelten dann für alle Unternehmen der Postbranche, keines darf seinen Leuten weniger zahlen.

Auf Druck der SPD hat sich die große Koalition zu diesem Kompromiss durchgerungen, obwohl er vielen Unionspolitikern weltanschaulich nicht in den Kram passt. 19 Abgeordnete der Union stimmten gegen den Mindestlohn. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), der Lohnuntergrenzen kritisch gegenübersteht, nahm an der Abstimmung nicht teil. Er war in Moskau, um dort die deutsch-russische Auslandshandelskammer zu eröffnen.

Die unterschiedlichen Auffassungen innerhalb der großen Koalition versuchen sich die Konkurrenten der Post AG zunutze zu machen. Vor allem die Firmen PIN AG und TNT wollen die jetzt beschlossenen Mindestlöhne nicht akzeptieren. Um diese nicht zahlen zu müssen, beantragte ihr Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste gestern einen eigenen Mindestlohn.

Der neue Arbeitgeberverband definiert sich im Antrag als eigene Branche, die mit der normalen Post gar nichts zu tun habe. Man verteile zwar auch Briefe, biete zusätzlich aber "höherwertige" Dienstleistungen an. Falls gewünscht, würden PIN-Briefträger die Sendungen beispielsweise direkt beim Absender abholen und innerhalb kürzester Zeit zum Adressaten transportieren. Die neue Branche heißt deshalb "Mehrwertbriefdienste". Eine neue Gewerkschaft gibt es auch schon. Sie und der neue Arbeitgeberverband haben einen eigenen Tarifvertrag abgeschlossen, der einen Mindestlohn von 6,50 Euro im Osten und 7,50 im Westen vorsieht.

Die Frage ist nun: Wie reagiert die Bundesregierung? Eine Sprecherin von Wirtschaftsminister Glos sagte gestern: "Das ist keine Sache, die man sofort abbügeln sollte."

Ralf Brauksiepe, der sozialpolitische Sprecher der Union, dagegen sieht keine Gefahr für den gestern beschlossenen Mindestlohn. "Das geht seinen vorgesehenen Gang", so Brauksiepe. Die Idee des neuen Arbeitgeberverbandes, er repräsentiere eine eigene Branche, nannte Brauksiepe "überraschend". Und an der Tariffähigkeit der neuen Gewerkschaft, die bislang nur 1.400 Mitglieder haben soll, hegt Brauksiepe ebenfalls Zweifel. Andrea Nahles, die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD, hält den Versuch, einen zweiten, niedrigeren Mindestlohn zu etablieren, deshalb für "rechtlich aussichtslos". Mit ihrem "total lächerlichen" Antrag bei Arbeitsminister Scholz wolle die PIN AG vom "eigenen Versagen" ablenken, so Nahles.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.