Bundespräsident lädt zur Debatte ein: Auf Handel folgen politische Allianzen
Zusammenstoß auf dem diskursiven Nebengleis: Bundespräsident Steinmeier debattierte mit Intellektuellen über die „Krise des Westens“.
Den Ton gibt der Historiker Heinrich August Winkler vor, der die Erschütterung des Westens durch Trump und Orbán nachzeichnet. Der Rechtspopulismus gefährde die Errungenschaften von 1776 und 1789, nämlich Rechtsstaat, repräsentative Demokratie, Gewaltenteilung und Menschenrechte. Die westliche Wertegemeinschaft sei einsturzbedroht, so seine These. Das klingt einleuchtend. Doch diese runde Konzept hat eine Lücke. Europa und USA erscheinen als Krönung politischer Zivilisation, der Rest als defizitärer Nicht-Westen.
Den Blick von außen auf den Westen soll, so Steinmeier, der Politologe Parag Khanna werfen, den sein Wohnsitz in Singapur für diese Rolle qualifiziert. Das erweist sich als Irrtum. Khanna, in Indien geboren, in USA aufgewachsen, ist ein Nachwuchsstar der globalen Politikwissenschaften. Er merkt an, dass Europa längst mehr Handel mit Asien treibe als mit den USA, und auf Handel würden gewöhnlich neue politische Allianzen folgen. Vor allem fordert Khanna, dass Demokratien mehr direkte Beteiligung wie in der Schweiz benötigen und an ihrer Effizienz gemessen werden müssen: eine Art liquid democracy plus Expertenherrschaft, zu Lasten des Repräsentativen.
„Die Legitimität der Demokratie von Input auf Output zu verlagern“ hält Steinmeier für fatal. Winkler bescheinigt Khanna den Rückfall in den Absolutismus. Susan Neimann, an der die Debatte ziemlich vorbeiläuft, ist auch angemessen empört. Doch der Streit Effizienz versus Verfahren führt nur auf ein Nebengleis. Khanna wirft keinen Blick von außen auf den Westen. Was wenig verwundert: Er war mal Berater von Obama.
Ungestellt bleibt die Frage, ob Trump, Orbán und die Entstehung einer vernetzten Weltgesellschaft Winklers Konzept von Westen und Nichtwesten verflüssigt. Dafür hätte man aber einen Kritiker des Westens wie Pankaj Mishra benötigt.
Die Reihe wird fortgesetzt. Als Nächstes wird Steinmeier mit Salman Rushdie über Meinungsfreiheit reden. Diskursiv ist Luft nach oben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen