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Bundespräsident in IndienAuf der Suche nach einem Riesen

Bundespräsident Köhler will bei seinem Besuch die aufstrebende Weltmacht Indien verstehen. Doch die Inder sind vor allem mit sich selbst beschäftigt.

Unterschrift ins Gästebuch: Bundespräsident Horst Köhler in Neu Delhi. Bild: dpa

Zweimal stellt Horst Köhler dieselbe Frage. Der Bundespräsident, der am Montag für eine ganze Woche zum Staatsbesuch nach Indien gekommen ist, sitzt am runden Tisch im Goethe-Institut von Delhi. Ihm lauschen sieben indische Gelehrte, drei Professoren, ein Schriftsteller, ein Journalist, eine Verlegerin und ein Psychoanalytiker. Zum zweiten Mal fragt Köhler, was Indien als aufsteigende Macht zu einer "kooperativen Weltordnung" beitragen könne, damit die Welt nicht wieder dem "Kampf von Großmächten" ausgeliefert werde. Im Westen die Finanzkrise, in Indien wieder 8 Prozent Wachstum: Da müssten doch die 1,1 Milliarden Inder mitmischen wollen beim großen Plan für die Zeit nach der Krise?

Doch die Gelehrten antworten nicht. Sie sprechen von Indiens unvollendeter Modernisierung, von den großen wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheiten, von der Last der Tradition in Gestalt des Kastenwesens. Sie wollen dabei nicht pessimistisch klingen. Der Psychoanalytiker Sudhir Kakar (siehe Interview unten) spricht von der "Demografie der Hoffnung", dem Optimismus der jungen Bevölkerung. Die Professoren betonen die Fortschritte beim Abbau gesellschaftlicher Schranken. Die Verlegerin Urvashi Butalia erzählt von 2 Millionen armer Frauen, die dank einem Gesetz inzwischen auf lokaler Ebene die Parlamente füllen und hervorragende Arbeit leisten. Köhler ist begeistert.

Indien ist Mitglied der G-20-Staatengruppe, in der derzeit die Weichen für ein neues Regelwerk der internationalen Finanzmärkte gestellt werden. Indien hat an der Seite Chinas die Klimaverhandlungen in Kopenhagen entscheidend beeinflusst. Kein Zweifel: die "kooperative Weltpolitik", von der Köhler immer wieder in Delhi spricht, braucht Indien. "Man kann auf Dauer nicht eine Milliarde Inder ausschließen", sagt Köhler. Aber er sagt das am Ende seiner politischen und kulturellen Gespräche in Delhi. Es ist im Grunde ein deprimierendes Fazit. Es erklärt auch zum Teil die Sprachlosigkeit der Gelehrten: Indien fühlt sich noch immer ausgeschlossen.

Unverblümt gaben es die indischen Unternehmer zu verstehen: "Sieben Jahre sind seit dem letzten Besuch eines deutschen Präsidenten vergangen", betonte Harsh Singhania, Verbandschef der Industrie- und Handelskammern, in einer Ansprache zu Ehren Köhlers. Singhania hätte weiter vortragen können, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel nur einmal in Indien war, bereits dreimal jedoch in China. Dass der neue Außenminister Guido Westerwelle schon einem Dutzend Länder Antrittsbesuche abgestattet hat, nicht aber Indien.

Köhler versichert, dass in Deutschland heute oft mit Bewunderung von Indien gesprochen werde. Doch für die deutsche Politik bleibt das bisher folgenlos. Die Inder spüren das sehr genau. Die Jahre, in denen deutsche Bundespräsidenten und Kanzler Indien besuchen, markieren für sie Epochen: 2003, ein Jahr nach dem Besuch von Bundespräsident Johannes Rau, begann in Indien die sechsjährige Expansionsphase mit jährlich über 8 Prozent Wachstum.

Wie ein Ahnungsloser

Entsprechend behandelt die indische Führung Köhler wie einen Ahnungslosen und nicht wie einen Partner, um mit ihm gemeinsam Probleme zu lösen. In seinem wichtigsten Gespräch mit der allmächtigen Sonia Gandhi, der Führerin der regierenden Kongresspartei, muss er sich die meiste Zeit über Armutsbekämpfung belehren lassen. "Sie ist offen, zugänglich, konzentriert, spricht frei von aller Rhetorik und lässt bei ihrem Thema Armutsbekämpfung nicht locker", sagt Köhler voller Respekt. Aber er hätte auch mit Sonia Gandhi lieber über die zukünftige Weltordnung gesprochen.

Es liegt auch an den Indern. Sie fühlen sich nicht nur ausgeschlossen, sie sind es auch, im elementarsten Sinn: "Zu viele leben hier unter dem, was menschenwürdig ist", erkennt Köhler und meint die hunderte Millionen Inder, die unter der Armutsgrenze leben. Gerade sie haben im letzten Jahr für Sonia Gandhi gestimmt. An ihnen, an etwas mehr Reis und Hirse für die Armen hängt Gandhis politisches Schicksal, nicht an einer neuen Weltordnung.

So aber ticken auch die Intellektuellen. Sie sind mit Indien, nicht mit der Welt beschäftigt. Die Abschaffung des Kastenwesens ist für sie wichtiger als Klimaschutz. Erst wenn die deutschen Politiker nach Indien kommen, um das zu verstehen, werden sie Wege finden, das Land ohne Anmaßungen in die weltpolitische Debatte zu integrieren.

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