Bundesgerichtshof und Unfallbeweise: Ist die Dashcam ein Beweismittel?

Minikameras im Auto zeichnen alles auf – das birgt Chancen und Risiken. Unklar ist, ob die Aufnahmen bei einem Unfallprozess genutzt werden dürfen.

Eine Dashcam ist am Rückspiegel befestigt

Bewegungserkennung: Eine Dashcam am Rückspiegel Foto: dpa

KARLSRUHE/MAGDEBURG dpa | Im ein oder anderen Auto fährt eine Dashcam mit, die den Verlauf der Fahrt aufzeichnet – das ist praktisch bei Verkehrsrowdys oder einem Unfall. Doch dürfen die Aufnahmen der kleinen Videokamera am Armaturenbrett oder an der Windschutzscheibe als Beweis verwertet werden, wenn es wirklich mal gekracht hat? Das prüft an diesem Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe. Verkehrsexperten, Juristen, Versicherer und Polizisten blicken gespannt nach Karlsruhe. Denn die Rechtslage ist diffus. Erwartet wird eine Grundsatzentscheidung. Ob die noch heute fällt, ist offen.

Um was geht es vor dem BGH?

Ein Mann aus Sachsen-Anhalt pocht auf vollen Schadenersatz nach einem Unfall. Nach seiner Darstellung ist ein Auto beim Linksabbiegen auf der daneben verlaufenden Spur auf seine Fahrbahn gekommen und gegen seinen Wagen gefahren. Das sollen Aufnahmen seiner Dashcam belegen. Doch weder das Amts- noch das Landgericht Magdeburg will sie sehen. Die Aufzeichnung verstoße gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen – sie dürfe deshalb nicht als Beweis herangezogen werden.

Was steckt dahinter?

„Das nicht-anlassbezogene Betreiben einer Dashcam im öffentlichen Raum ist in Deutschland nicht legal“, erläutert Daniela Mielchen von der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht des Deutschen Anwaltvereins (DAV). Permanentes Filmen anderer ohne deren Einverständnis verstößt gegen das Persönlichkeitsrecht, das Recht am eigenen Bild und gegen das Bundesdatenschutzgesetz: Paragraf 6b, Absatz 3, setzt dem Filmen in der Öffentlichkeit enge Grenzen.

Was könnte die Auswertung der Aufnahmen bringen?

Oft ist die Rekonstruktion eines Unfalls schwierig, auch weil Zeugen sich widersprechen. „Grundsätzlich kann eine Videoaufzeichnung als Beweismittel sehr hilfreich sein“, sagt Oliver Malchow, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Auch Kfz-Versicherer könnten einfacher feststellen, wer wie viel Schuld an einem Unfall trägt und so schneller Schäden regulieren.

Wann ist das Filmen mit der Dashcam erlaubt?

Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es nicht. Wer jedoch permanent Dritte filmt, das speichert und es womöglich ins Netz stellt, muss mit einem Bußgeld rechnen. Das gilt selbst dann, wenn das Video hilft, einen schweren Verkehrsverstoß aufzuklären.

Was geht gar nicht?

„Wir wollen keine Überwachung der Bürger durch den Bürger“, betont GdP-Chef Malchow. Wer sich als Hilfssheriff aufspielt und – wie ein als „Knöllchen-Horst“ bekannt gewordener Frührentner aus dem Harz – mit der Dashcam Jagd auf angebliche Verkehrssünder macht, dem droht sogar Filmverbot. Der Mann hatte Zehntausende angezeigt.

Wie halten es die Gerichte mit dem Dashcam-Beweis?

Bundesweit ist das unterschiedlich. Zuweilen urteilt dasselbe Gericht anders: So erkannte das Amtsgericht München mal die Mini-Kamera als Beweismittel an, ein andermal verbot es die Verwertung unter Hinweis auf die Persönlichkeitsrechte anderer Verkehrsteilnehmer. Das Oberlandesgericht Stuttgart wiederum hat 2016 als erstes Obergericht für schwerwiegende Verkehrsverstöße den Beweis durch eine Autokamera zugelassen. Damals ging es um das Überfahren einer Ampel, die schon länger Rot zeigte.

Was macht die Sache so kompliziert?

„Es stehen sich zwei Rechtsideen gegenüber: Datenschutz und Beweissicherung“, sagt DAV-Verkehrsrechtler Andreas Krämer. Das muss gegeneinander abgewogen werden – und ob ein Verstoß so schwer ist, dass selbst unzulässig erstellte Aufnahmen als Beweis dienen können.

Welche Erwartungen gibt es an den BGH?

Alle Seiten hoffen auf Rechtssicherheit. „Möglicherweise bekommen wir Klarheit darüber, wann in zivilrechtlichen Verfahren künftig solche Aufnahmen genutzt werden dürfen“, sagt Verkehrsjurist Krämer. Auch Anwältin Mielchen meint: „Es gibt so viele unterschiedliche Urteile. Es wäre schön, wenn man das vereinheitlichen kann.“

Was müsste der Gesetzgeber tun?

Der Verkehrsgerichtstag fordert eine klare gesetzliche Regelung und empfiehlt auf Basis des europäischen Datenschutzrechtes einen „Ausgleich zwischen Beweisinteresse und Persönlichkeitsrecht“. Videos sollten „anlassbezogen“ zulässig sein, etwa bei schweren Verstößen oder einem drohenden Unfall, und ansonsten überschrieben werden. Missbrauch, wie eine Veröffentlichung im Internet, sollte hingegen bestraft werden. „Damit wäre das Interesse an der Unfallaufklärung sichergestellt und auch des Datenschutzes, weil die Aufnahmen nicht permanent abgespeichert werden“, so Anwalt Krämer.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.