Bummelbahn: Endstation Blumenwiese
Private Eisenbahnunternehmen in Brandenburg fahren hauptsächlich auf Nebenstrecken. Weil da wenig los ist, werden sie schnell Opfer von Kürzungen. Eine Er-Fahrung der Prignitz.
Putlitz ist abgehängt. Früher zuckelte eine Bahn durch die beschauliche Prignitzer Landschaft in die Nachbarstadt Pritzwalk. "Eine Zugfahrt, bei der man Blümchen pflücken kann, das war wie Urlaub", sagt Bernd Dannemann. "Die Leute mögen diese Art des Reisens." Der Bürgermeister von Putlitz am nördlichen Rand Brandenburgs ist sauer, weil der Zug nicht mehr fährt. Denn die Verbindung nach Pritzwalk fiel der letzten Kürzung des Brandenburger Landeshaushalts zum Opfer. Jetzt gibt es einen Bus, den niemand mag.
Die Verbindung ist die Hausstrecke der privaten "Prignitzer Eisenbahn", die ihren Sitz in Putlitz hat und als Vorzeigemodell unter den privaten Eisenbahnbetrieben gilt. Weil die Privaten hauptsächlich auf Nebenstrecken fahren, werden sie schnell Opfer der Haushaltspolitik.
Denn da, wo am wenigsten los ist, wird als Erstes gekürzt. Die Prignitzer Eisenbahn hat diese prekäre Lage durch Expansion ausgeglichen. Seit drei Jahren gehört sie zum international agierenden Konzern Arriva und hat genug Kapital, um sich an großen Ausschreibungen zu beteiligen. Aus dem Drei-Mann-Unternehmen im Jahr 1996 ist mittlerweile eine Firma mit 450 Angestellten und diversen Tochtergesellschaften geworden, das auch auf Strecken in anderen Bundesländern verkehrt.
Wer verstehen will, was Bürgermeister Dannemann mit einer "Bahnfahrt zum Blumenpflücken" meint, kann in Pritzwalk den Zug nach Kyritz nehmen. Die Rangiergleise sind hier unter wuchernden Büschen verschwunden, auf dem Bahnsteig wächst Gras - der Bahnhof hat schon bessere Zeiten gesehen.
Der glänzende Triebwagen der Prignitzer Eisenbahn hebt sich scharf von dieser Umgebung ab. Er ist nicht größer als die alten, grauen Schienenbusse, auch Ferkeltaxis genannt, die früher durch die Mark tuckerten. Alle zwei Stunden fährt er nach Kyritz. Im Schritttempo geht es raus aus der Stadt, tutend wie eine echte Eisenbahn, nur das Dampfen und Rattern fehlt. Stattdessen Bässe aus dem Kopfhörer einer jungen Frau mit viel Schminke und Metall im Gesicht. Am Nachmittag kommen die Letzten von der Schule und die Ersten von der Arbeit. 13 Fahrgäste, der Zug ist fast leer.
Der Wagen beschleunigt - und fährt mit Tramgeschwindigkeit durch sanft hügelige Maisfelder, Kartoffeläcker und vergessenen Raps. Ein Bussard sitzt zum Greifen nah am Gleis. Bei jedem Queren der Sandwege, die hier Straßen heißen, hupt der Zug laut wie ein Schiff, denn Schranken gibt es nicht. "Der nächste Halt ist Sarnow. Wenn Sie aussteigen wollen, bedienen Sie das Haltesignal", sagt eine Automatenstimme. Sarnow, das sind drei Häuser und viele Enten. Niemand will aussteigen. Der Zugführer winkt einem Mann in einem Garten.
Weiter geht es durch Mischwälder mit Blick auf Ameisenhaufen und bemooste Lichtungen. Eine Fahrt durch weite, menschenleere Landschaft. Irgendwann erreicht der Zug Kyritz. Auch hier zugewachsene Gleise, vergraste Bahnsteige und eine Bahnhofsstraße, in der die Zeit stehen geblieben zu sein scheint.
Ohne öffentliche Gelder kann Regionalverkehr nicht betrieben werden. 500 Kunden müssten ständig in jedem Zug unterwegs sein, um aus dem Fahrkartenverkauf die Kosten zu decken. Schon im Umland von Berlin sind das seltene Spitzenwerte, auf Nebenstrecken sind an einem ganzen Tag nicht so viele Menschen unterwegs.
Um die Strecken in der Landesförderung zu halten, bemühen sich die Betreiber, die Fahrgastzahlen zu erhöhen. Und sie sind recht findig, ihre Bahnstrecken bekannt und attraktiv zu machen. Bei der Ostdeutschen Eisenbahn ODEG, einer Tochter der Prignitzer, kann man auf der Strecke von Lichtenberg nach Eberswalde Sonderzüge für Schulausflüge mit Besichtigungsprogramm buchen. Ein "Kunstzug" wurde von einem Maler aus der Gegend gestaltet und fährt Ausflügler zu den Startbahnhöfen kulturhistorischer Wander- und Fahrradwege in der Region. Die Niederbarnimer Eisenbahn veranstaltet Sonderfahrten zum internationalen Artistenmuseum in Klosterfelde und informiert ausführlich über Ausflugsziele an ihrer Strecke "Heidekrautbahn" von Berlin in die Schorfheide.
Für Bahnkunden völlig ungewohnt ist der gute Telefonservice. Alle drei Firmen haben eine Servicenummer. Wer zum Beispiel bei der ODEG anruft, aber niemanden erwischt, kann auf einen Anrufbeantworter sprechen und wird tatsächlich umgehend zurückgerufen.
Schaffner, die im Bauchladen Süßes und Getränke zum Einkaufspreis anbieten, wie das in der Anfangszeit der Prignitzer Eisenbahn üblich war, sieht man heute allerdings nicht mehr. Überhaupt gibt es nur noch selten begleitete Züge. Die Personalausstattung ist in den Ausschreibungen vorgegeben. Da diese meistens eine Kostenreduzierung zum Ziel haben, wird auch an den Zugbegleitern gespart.
Seit der Bahnreform 1996 gibt es einen Wettbewerb im Schienenverkehr, vereinzelte Strecken wurden auch für private Anbieter freigegeben. Die Prignitzer Eisenbahn führt ihren Konkurrenzvorteil gegenüber der Bahn und anderen Unternehmen auf die schlanke Verwaltung und den billigen Treibstoff zurück. Die Firma kaufte anfangs alte Loks und rüstete sie auf Rapsöl um. Die "Salatöl-Eisenbahn" erhielt viel Sympathie und 2001 einen Umweltpreis. Die neuen Triebwagen sind auf Biodiesel eingestellt. Ein weiterer Konkurrenzvorteil geht zulasten der Beschäftigten: Die Löhne des Zugpersonals liegen nach Angaben der Eisenbahner-Gewerkschaft Transnet bei allen drei Privaten 10 bis 20 Prozent unter den Tarifen der Bundesbahn - die auch nicht üppig sind.
Weil die Privaten zurzeit noch hauptsächlich auf Nebenstrecken fahren, haben sie ein großes Interesse, diese zu halten. Das ist nicht nur für Putlitz wichtig. Die vielen Kleinbahnen, die in Brandenburg um die Wende zum letzten Jahrhundert entstanden, sind noch heute ein bedeutendes Symbol für die Verbindung zur Welt. "Hundertzehn Jahre ist der Zug gefahren", meint der Bürgermeister Bernd Dannemann, der sich seit Jahren gegen die Abkopplung der ländlichen Peripherie wehrt. "Die Bahn gehört einfach dazu", sagt er. Für die Strecke Putlitz-Pritzwalk gibt es Hoffnung: In der Kreisverwaltung wird emsig an einer Finanzierungskonstruktion getüftelt, die den kleinen Regio-Shuttle zum Herbst wieder auf die Schiene bringen soll.
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