: Bürokratenhintern kleben in Bonn
■ Kanzleramtschef Bohl will acht Ministerien in Bonn belassen/ SPD-Vogel warnt vor Verfassungskrise
Bonn (dpa) — Einen Tag vor der Entscheidung der Bundesregierung über die Verlegung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin spitzte sich der Streit zwischen beiden Lagern weiter zu. Berlin-Befürworter pochten auf strikte Einhaltung des Bundestagsbeschlusses vom 20. Juni und warnten vor einem „Vertrauensbruch“ gegenüber der Hauptstadt. Bonn-Vertreter waren mit den bisherigen Vorschlägen der Bundesregierung unzufrieden und verlangten, mehr Bundesbehörden am Rhein zu belassen.
In Regierungskreisen wird damit gerechnet, daß das Kabinett die Vorschläge des Arbeitsstabes Berlin/ Bonn billigt. Danach sollen zehn Bundesministerien ganz oder zum größten Teil an die Spree umziehen. Die acht übrigen sollen am Rhein bleiben. Damit behielte Bonn rund zwei Drittel der gut 21.000 Arbeitsplätze.
Nach dem Konzept der Regierung sollen die Ressorts für Verteidigung, Gesundheit, Landwirtschaft, Post, Umwelt, Forschung, Bildung und Entwicklungshilfe in Bonn bleiben. Verlagert werden sollen — neben Kanzleramt und Bundespresseamt — die Ressorts Auswärtiges Amt, Innen, Justiz, Finanzen, Wirtschaft, Arbeit und Soziales, Familie, Frauen und Jugend sowie Verkehr und Bau. Eine Reihe dieser Ministerien sollen jedoch nach diesem Vorschlag große Bereiche in Bonn behalten. Lediglich das AA und das Justizressort würden vollständig nach Berlin wechseln. Die in Bonn bleibenden Ressorts sollen einen zweiten Dienstsitz in Berlin bekommen.
Kanzleramtschef Friedrich Bohl plädierte für dieses Umzugskonzept, es sei „sehr tragfähig und weiterführend“. Dagegen nannte es der frühere SPD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Hans-Jochen Vogel unvereinbar mit dem Parlamentsbeschluß, daß ganze Ministerien in Bonn blieben. Vogel warnte vor einer schweren Verfassungskrise.
Der Berliner FDP-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder erklärte, in Berlin dürften keine „dünnbesetzten Verbindungsstellen“ Bonner Ministerien entstehen. Es bestehe die „gefährliche Tendenz, daß künftige deutsche Regierungen womöglich komplett gespalten sein werden“.
Dagegen verlangte Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels (CDU) den Verbleib von mindestens 13 Ministerien am Rhein, da der größte Teil der Arbeitsplätze in Bonn zu sichern sei. Gegen einen Umzug von Bundesbehörden von Hessen nach Bonn machte der Landesverband der Gewerkschaft ÖTV Front. Damit könnten dort bis zu 9.000 Arbeitsplätze verlorengehen.
Morgen will der Ältestenrat des Bundestages über den Bericht der Konzeptkommission beraten. Dabei geht es auch um Vorschläge für die langfristige Bebauung in der Umgebung des Berliner Reichstagsgebäudes.
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