Bürgervotum gegen Winterspiele: Wer braucht schon Olympia?
Abgewatscht: Die deutschen Freizeitsportler haben sich von den Spitzenverbänden emanzipiert. Der Deutsche Olympische Sportbund ist ratlos.
Ratlos wirkten die Vertreter des organisierten Sports nach der Riesenwatschn, die ihnen die bayerische Bevölkerung verpasst hatte. Die werden sie noch lange spüren im Deutschen Olympischen Sportbund.
Von einer vertanen Chance sprach der designierte DOSB-Präsident Alfons Hörmann, Chef des Deutschen Skiverbandes, nach dem Bürgervotum und versuchte erst gar nicht Verständnis für die siegreichen Bedenkenträger aufzubringen. Es war ein Schock für den organisierten Sport in Deutschland.
In London, bei den Spielen im Sommer 2012, grinste man noch an der Seite des deutschen Sportministers Hans-Peter Friedrich in die Kamera, als dieser während seiner Visite meinte, Deutschland stehe es als führender Wirtschaftsnation zu, früher oder später Gastgeber von Olympischen Spielen zu sein. Danach formulierte man neue Ziele: Deutschland sollte sich mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt gemessen an Olympiamedaillen unter den fünf besten Sportnationen der Welt etablieren.
Ende September 2012 beschloss der Verband, die Olympiabewerbung für München 2022 anzuschieben, und forderte vom Innenministerium, die Spitzensportförderung von bisher 113 Millionen Euro auf über 150 Millionen im Jahr anzuheben.
Der DOSB wähnte sich nach der Wahl seines langjährigen Präsidenten Thomas Bach zum Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bärenstark und auf dem Weg zu einer olympischen Großmacht. Umso tiefer ist der Fall, nachdem die Bewerbung um die Winterspiele von den Bürgern niedergestimmt worden ist.
Geht jetzt gar nichts mehr? War’s das mit dem Traum von Olympischen Spielen auf deutschem Boden?
Bei der Suche nach den Gründen für die Niederlage reicht es nicht, das schlechte Image des IOC zu beklagen. Gewiss wollten viele Gegner einer Olympiabewerbung nicht einsehen, wie man einen Vertrag mit einer Sportorganisation unterschreiben kann, dessen Inhalt nicht verhandelt werden darf.
Diese Diktatverträge, mit denen sich das stinkreiche IOC Steuerfreiheit zusichern lässt und den Ausrichterstädten das alleinige Risiko überhilft, dürfen sogar als sittenwidrig bezeichnet werden. Schon lange macht sich keiner im IOC mehr die Mühe zu erklären, warum man eigentlich Olympische Spiele veranstalten sollte. Und schon lange versucht in Deutschland keiner zu erklären, warum die Förderung des Spitzensports so wichtig ist. Er ist zum Selbstzweck geworden.
Selbstzweck Spitzensport
Dass Olympische Spiele in einem Land abgelehnt werden, in dem Millionen Menschen täglich mit Begeisterung Sport treiben, dürfte dem DOSB gar nicht gefallen. An den ersten schönen Wintertagen werden die Autobahnen, die von München ins Oberland führen, wieder an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Die Städter gehen zum Skifahren.
14 Millionen Menschen gibt es in Deutschland, die sich regelmäßig zum Skifahren in die Berge aufmachen. Diese Zahl hat die Schweizer Consulting-Agentur Laurent Vanat im Auftrag der Tourismusindustrie ermittelt. Keine 600.000 Menschen sind demgegenüber im Deutschen Skiverband organisiert – und viele auch nur deshalb, weil der DSV so günstige Skiversicherungen anbietet. Gerade einmal 40.000 Snowboarder sind Mitglied in einem Verein.
Die Freizeitsportler emanzipieren sich von den Verbänden. Der Spitzensport wird als Katalysator für den Breitensport nicht mehr benötigt. Welcher Freizeitläufer, der daran arbeitet, einmal in seinem Leben einen Marathon zu schaffen, kennt den Namen des amtierende Weltmeisters in dieser Disziplin?
Der Sport braucht Olympia nicht. Das ist vielleicht die bitterste Erkenntnis aus diesem für den DOSB so niederschmetternden Votum vom Sonntag.
Übrigens: Der Marathonweltmeister heißt Stephen Kiprotich und kommt aus Uganda.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen